Anschließend fuhr David nach Hause zu seinen Eltern, die am Sereno Drive in einem grünen Haus mit braunem Schindeldach lebten, das von einer sorgfältig geschnittenen Hecke und zwei großen runden Büschen umgeben war.
Um 19.20 Uhr zog sich David um; für den heutigen Abend suchte er ein hellblaues, langärmeliges Hemd, eine braune Cordhose, schwarze Socken und braune Wildlederschuhe aus. Er legte seine Timex-Armbanduhr an und steckte in die rechte vordere Hosentasche sein Kleingeld in Höhe von einem Dollar und fünfundfünfzig Cent ein. In eine andere Tasche steckte er ein weißes Taschentuch und ein kleines Fläschchen Binaca-Atembonbons. Am Mittelfinger der linken Hand trug er seinen Highschool-Ring mit dem roten Stein. Er kämmte sein kurz geschnittenes braunes Haar schräg über die Stirn, unter der seine großen Augen mit einem intelligenten Ausdruck hervorleuchteten, und schlüpfte zuletzt in sein beigefarbenes Sportsakko.
David verabschiedete sich von seinen Eltern und verließ um 19.30 Uhr das Haus. Er atmete die kalte Abendluft ein (es hatte minus sechs Grad) und stieg in den braun- und beigefarbenen Rambler-Kombi ein, der auf seine Mutter zugelassen war.
Er fuhr den Wagen rückwärts die Zufahrt hinunter und bog auf dem Fairgrounds Drive zum Interstate Highway 80 ein, wo er schon nach zwei Kilometern die Ausfahrt Georgia Street nahm. Danach bog er nach rechts in die Hazelwood Street ein und fuhr bis 123 Ridgewood, einem niedrigen Haus, das von Efeu und schlanken hohen Bäumen umgeben war. Es war Punkt acht Uhr, als David vor dem Haus anhielt.
Betty Lou Jensen war ein fleißiges ernsthaftes Mädchen, das einen guten Ruf genoss. Ihre Eltern nahmen an, dass sie an diesem Abend mit David ein Weihnachtskonzert in ihrer Schule, der Hogan High School, besuchen wollte, die nur einige Straßen entfernt war.
Betty Lou blickte noch einmal kurz in den Spiegel und rückte das bunte Band zurecht, das sie im Haar trug. Ihr hübsches Gesicht wurde von dem langen braunen Haar umrahmt, das bis auf ihre Schultern fiel. Sie trug ein violettes Minikleid mit weißen Ärmelbündchen und weißem Kragen, das ihre dunklen Augen mit dem geheimnisvollen Ausdruck betonte und schwarze Riemchenschuhe.
Betty Lou blickte etwas nervös zum Fenster hinüber, um sich zu vergewissern, dass die Jalousien heruntergelassen waren. Sie hatte gegenüber ihrer Schwester Melody schön mehrmals den Verdacht geäußert, dass ihr ein Junge aus der Schule nachspionierte - und tatsächlich hatte Mrs. Jensen das Gartentor an der Seite des Hauses schon mehrmals offen vorgefunden. Die Frage war, ob ihr wirklich ein Junge aus der Schule oder jemand anders nachspionierte.
Während David auf Betty Lou wartete, unterhielt er sich mit ihrem Vater Verne. Ihre Eltern stammten ursprünglich aus dem Mittelwesten, doch Betty Lou war ebenso wie Davids Mutter in Colorado zur Welt gekommen.
Als Betty Lou schließlich auf den Flur herauskam, half ihr David in ihre weiße Pelzjacke. Mit der Handtasche in der Hand gab sie ihrem Vater einen Kuss zum Abschied und sagte ihm, dass sie nach dem Konzert noch eine Party besuchen würden. Sie versprach, um spätestens elf Uhr zu Hause zu sein, ehe die beiden schließlich um 20.20 Uhr aufbrachen.
Doch anstatt das Konzert zu besuchen, fuhren die beiden jungen Leute zu Sharon, einer Mitschülerin von Betty Lou, die in der Nähe der Schule wohnte. Um 21 Uhr begleitete Sharon sie wieder zum Wagen hinaus. Die beiden sagten nicht, wo sie als Nächstes hinfahren wollten.
Ungefähr zur gleichen Zeit fiel zwei Waschbärenjägern, die ihren roten Pick-up gerade auf dem Gelände der Marshall-Ranch geparkt hatten, an der Lake Herman Road, ein paar Meilen östlich der Stadtgrenze von Vallejo, ein wei ßer viertüriger Chevrolet Impala auf, der vor der Water Pumping Station von Benicia stand. In diesem Moment fuhr außerdem ein Lastwagen vom Gelände des Wasserhebewerks auf die leere Straße auf.
Um 21.30 Uhr ereignete sich an dieser Stelle ein ungewöhnlicher Vorfall. Ein Junge und seine Freundin hatten den Sportwagen des Mädchens in einer Kurve abgestellt, damit er eine Einstellung am Motor verändern konnte. Die beiden sahen einen Wagen, möglicherweise einen blauen Valiant, der von Benicia nach Vallejo unterwegs war. Als das Auto vorbeifuhr, wurde es plötzlich langsamer und blieb schließlich einige Meter weiter mitten auf der Straße stehen. Die beiden jungen Leute sahen zu ihrem Erstaunen, wie der Wagen ganz langsam rückwärts auf sie zugefahren kam. Es ging etwas dermaßen Bedrohliches von dem näher kommenden Fahrzeug aus, dass der Junge den Wagen seiner Freundin rasch startete und so schnell wie möglich davonbrauste. Der Valiant folgte ihnen. Als die beiden schließlich in Richtung Benicia abzweigten, fuhr der andere Wagen geradeaus weiter.
Um 22 Uhr sah ein Schäfer namens Bingo Wesher östlich des Wasserhebewerks nach seinen Schafen, als ihm ein weißer Chevrolet Impala auffiel, der vor dem Tor der Pumpstation geparkt war. Er sah auch den Ford-Pick-up der beiden Waschbärenjäger.
Nachdem Betty Lou und David im Mr. Ed’s, einem Drive-in-Restaurant, eine Cola getrunken hatten, fuhren sie auf der Georgia Street zum Columbus Parkway. An der Stadtgrenze von Vallejo bog David auf die schmale kurvenreiche Lake Herman Road ab.
Sie kamen an den Anlagen der SVAR Rock and Asphalt Paving Materials Company vorbei, deren Maschinen sich in den ockerfarbenen Berg gruben. Es gab hier Silberminen, und David hatte von zwei Männern gehört, die vorhatten, hier in der Gegend eine Quecksilbermine zu betreiben. Auf den ersten Kilometern der Straße fand man hier eine kleine Ranch nach der anderen. Am Tag grasten schwarz-weiß gefleckte Kühe auf den Wiesen des Hügellands - doch jetzt lag tiefe Nacht über dem Land, nur vom Scheinwerferlicht des Rambler-Kombis durchdrungen. David und Betty Lou fuhren nach Osten zu einem entlegenen Plätzchen, das häufig von Liebespaaren aufgesucht wurde. Die Polizei kam von Zeit zu Zeit hier vorbei, um die jungen Leute darauf aufmerksam zu machen, dass es gefährlich sein konnte, an einem so abgelegenen Platz anzuhalten.
Kurz nach 22 Uhr hielt David im Kiesbett fünf Meter neben der Straße mit Blickrichtung nach Süden an, in der Nähe des Maschendrahtzauns, der das Wasserhebewerk in der Lake Herman Road umgab. Er versperrte alle vier Türen, legte Betty Lous weiße Pelzjacke und Handtasche sowie sein Sportsakko auf den Rücksitz und schaltete die Wagenheizung ein.
Es gab hier keine Laternen, und der freie Platz war von sanften Hügeln und Farmland umgeben. Liebespaare suchten den Ort auch deshalb gerne auf, weil man die Lichter von herannahenden Streifenwagen schon von weitem kommen sah, sodass man Bier oder Marihuana notfalls rechtzeitig verschwinden lassen konnte.
Um 22.15 Uhr kamen eine Frau und ihr Freund, ein Matrose, vorbei. Als sie das Ende der Straße erreichten und eine Viertelstunde später zurückkamen, stand der Wagen immer noch da - doch er war nun nicht mehr nach Süden ausgerichtet, sondern zur Straße hin nach Südosten.
Um 22.50 Uhr kam Mrs. Stella Borges auf ihrer Ranch in der Lake Herman Road an, knapp viereinhalb Kilometer von der Stelle entfernt, an der Betty Lou und David mit ihrem Wagen standen. Als Mrs. Borges das Haus betrat, klingelte das Telefon, und sie unterhielt sich eine Weile mit ihrer Mutter. Sie sprachen unter anderem darüber, dass Mrs. Borges ihren dreizehn Jahre alten Sohn etwas später von einer Veranstaltung abholen würde.
Um 23 Uhr kamen Mrs. Peggie Your und ihr Ehemann Homer in ihrem goldfarbenen Siebenundsechziger-Grand-Prix in die Lake Herman Road, um nach den Kanal- und Wasserrohren zu sehen, die seine Firma gerade beim Pumpwerk installierte. Als sie an dem Rambler-Kombi vorbeikamen, sah Mrs. Your David auf dem Fahrersitz sitzen; das Mädchen saß an seine Schulter gelehnt neben ihm.
Nachdem sie die Baustelle inspiziert hatten, fuhren die Yours weiter bis zum Fuße des Hügels, wo sie dann in Richtung Benicia abbogen. Sie sahen den roten Pick-up der Waschbärenjäger, der auf dem Gelände der Marshall Ranch geparkt war. Die beiden Jäger saßen mit Wollmützen und Jagdjacken bekleidet im Wagen. Die Yours machten schließlich kehrt und kamen wieder am Rambler vorbei; David und Betty Lou saßen immer noch genauso da wie vorher.
Die Waschbärenjäger waren den Bach entlang zu ihrem Pick-up zurückgekehrt. Etwa fünf Minuten, nachdem sie den Wagen der Yours hatten ankommen sehen, brachen sie schließlich auf. Dabei fiel ihnen der Rambler auf, der allein beim Tor des Pumpwerks geparkt war und der nun zum Tor hin ausgerichtet war.
Als sich ein weiterer Wagen näherte und die beiden Jäger mit seinen Scheinwerfern erfasste, hielten sich Betty Lou und David wahrscheinlich gerade in den Armen. Anstatt weiterzufahren, verließ dieses Auto die Straße und hielt etwa drei Meter rechts von dem Kombi an.
Von außen konnte man wahrscheinlich nur die Umrisse der geduckten stämmigen Gestalt erkennen, die, mit einer Windjacke bekleidet, am Lenkrad des Wagens saß. Einen kurzen Moment lang blitzte wohl etwas auf, so als wäre ein Lichtstrahl von einer Brille zurückgeworfen worden. Die beiden Autos standen nun Seite an Seite an der abgelegenen leeren Landstraße.
Um 23.10 Uhr war ein Arbeiter von Humble Oil in Benicia gerade auf dem Weg nach Hause, als er an dem Kombi vor dem Tor vorbeikam. Dieser Wagen blieb ihm sehr wohl im Gedächtnis, während er Form und Farbe des Autos daneben kaum zur Kenntnis nahm.
Ein kalter Wind wehte durch das gefrorene Gras neben der Straße, als der Wagen des Arbeiters in der Dunkelheit verschwand.
Was danach geschah, könnte sich folgendermaßen zugetragen haben:
Der Fahrer des zweiten Wagens kurbelte sein Fenster herunter und sprach David und Betty Lou an; möglicherweise forderte er sie auf, auszusteigen.
Die beiden jungen Leute waren ziemlich verdutzt und weigerten sich, der Aufforderung nachzukommen. Der stämmige Mann öffnete die Fahrertür, stieg aus und zog dabei eine Pistole aus seiner dunklen Jacke hervor.
Der Fremde starrte auf Betty Lou hinunter, deren Fenster offen stand. Anstatt gleich das offene Fenster auf der Beifahrerseite für seine Attacke zu nützen, ging er zunächst zum Heck des Wagens. Er richtete seine Waffe auf das rechte hintere Fenster und feuerte eine Kugel ab, die das Glas zersplittern ließ. Dann trat er an die linke Seite des Wagens und schoss auf den Radkasten links hinten. Er wollte damit wohl die beiden jungen Leute dazu bewegen, das Auto durch die Beifahrertür zu verlassen.
Sein Plan ging auf. Während die beiden Teenager ins Freie zu kommen versuchten, lief der Fremde auf die rechte Seite des Kombis zurück.
Betty Lou war bereits aus dem Wagen geflüchtet, als David auf den Beifahrersitz rutschte und ihr folgen wollte. In diesem Augenblick steckte der Mann die Pistole in das offene Fenster, setzte sie dem Jungen hinter dem linken Ohr an den Kopf und drückte ab. Die Kugel durchquerte den Kopf und hinterließ die typischen Schmauchspuren einer Kontaktwunde.
Betty Lou schrie auf und lief nach Norden, in Richtung Vallejo davon. Der stämmige Mann folgte ihr augenblicklich mit der Pistole in der Hand. Als er keine drei Meter hinter ihr war, feuerte er fünf Kugeln auf Betty Lou ab, die sie alle rechts oben in den Rücken trafen. Eine geradezu verblüffende Treffsicherheit, wenn man bedachte, dass der Schütze auf ein bewegtes Ziel feuerte, selbst über Kies lief und es ringsum fast völlig dunkel war.
Betty Lou stürzte neuneinhalb Meter von der hinteren Stoßstange des Kombis entfernt tot zu Boden. Das Mädchen hatte bei seinem Fluchtversuch nicht einmal den Bürgersteig der Straße erreicht. Sie lag auf der rechten Seite mit dem Gesicht nach unten, während David neben dem Wagen auf dem Rücken lag, die Füße zum rechten Hinterrad zeigend. Er atmete noch, wenn auch unmerklich, während sich rund um seinen Kopf eine große Blutlache bildete.
Der stämmige Mann fuhr seinen Wagen rückwärts zur Straße zurück und verschwand auf der dunklen gewundenen Landstraße.
Mrs. Borges, die ihren Mantel gar nicht ausgezogen hatte, legte den Hörer auf und ging wieder zum Wagen hinaus, um nach Benicia zu fahren. Bevor sie das Haus verließ, warf sie noch einen raschen Blick auf die Küchenuhr; es war genau 23.10 Uhr.
Sie fuhr mit etwa fünfundfünfzig Kilometer in der Stunde und kam nach vier bis fünf Minuten zu der Stelle, an der David seinen Wagen geparkt hatte. Als sie nach der Biegung an einem Ende des Maschendrahtzauns den Ort des schrecklichen Geschehens mit ihren Scheinwerfern beleuchtete, glaubte sie zunächst, der junge Mann wäre aus dem Wagen gefallen. Dann sah sie Betty Lou am Boden liegen. Die Wagentür rechts vorne stand immer noch offen, sodass man in der nächtlichen Stille das Summen der Heizung hören konnte.
Mrs. Borges trat auf das Gaspedal, um so schnell wie möglich nach Benicia zu kommen und Hilfe zu holen. Nördlich des Interstate Highway 680 sah sie einen Streifenwagen, dessen Insassen sie mit Hupen und Lichtsignalen auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Die beiden Autos hielten um 23.19 Uhr an der Enco-Tankstelle in der East 2
nd
Street an, und sie berichtete den Polizisten von dem schrecklichen Bild, das sich ihr an der Straße vor dem Pumpwerk geboten hatte.
Der Streifenwagen eilte mit Blaulicht an den Ort des Verbrechens und traf nach etwa drei Minuten dort ein. Die beiden Polizisten, Captain Daniel Pitta und Officer William T. Warner, erkannten sogleich, dass der Junge noch schwach atmete, und riefen einen Krankenwagen.
Dann sahen sie sich den Rambler-Kombi näher an. Der Motor war noch warm und die Tür rechts vorne stand offen, während die drei anderen Türen und die Heckklappe versperrt waren.
Sie fanden eine Patronenhülse Kaliber 22 rechts vorne im Auto. Der Boden war gefroren, sodass keinerlei Reifenspuren oder Anzeichen eines Kampfes zu erkennen waren.
Die Polizisten deckten Betty Lou mit einer Wolldecke zu. Das Blut, in dem die Tote lag, war größtenteils aus Mund und Nase ausgetreten. Die Blutspur führte zum Wagen zurück, wo David mit dem Gesicht nach oben am Boden lag.
Captain Pitta konnte an den Schmauchspuren rund um die Wunde erkennen, dass die Kugel aus nächster Nähe abgefeuert worden sein musste. Warner zog die Umrisse des schwer Verletzten mit Kreide nach.
Wenig später durchdrangen die roten Lichter des Krankenwagens die Dunkelheit. David wurde auf eine Tragbahre gelegt und mit Sirenengeheul ins General Hospital von Vallejo gebracht. Auf dem Weg dorthin kümmerte sich ein Arzt um ihn.
Um 23.29 Uhr rief Pitta den Bezirks-Leichenbeschauer Dan Horan an. Da der Tatort zum Solano County gehörte, war in diesem Fall die Polizei von Benicia nicht zuständig. Pitta verständigte deshalb per Funk das Sheriff Office von Solano und forderte eine Einheit und einen Ermittlungsbeamten an.