Zodiac (23 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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»Er ist so adrett gekleidet«, dachte Kathleen, »aber hier im Wagen liegt alles so schlampig herum.« Auf dem Armaturenbrett lagen zwei bunte Topfreiniger, und daneben eine schwarze Taschenlampe mit Gummigriff.

Der Wagen hatte schwarze Schalensitze und eine sportliche Automatikgetriebekonsole, dazu einen speziell eingebauten Zigarettenanzünder auf der rechten Seite und einen Aschenbecher am vorderen Ende.

Der Fremde sprach mit monotoner akzentfreier Stimme. »Er redete ohne jedes Gefühl in der Stimme«, berichtete Kathleen. »Kein Zorn, gar nichts. Die Worte kamen völlig ausdruckslos. Er sprach nicht übermäßig langsam, aber sehr präzise. Einfach und klar, aber ohne Gefühl.

Ich hielt es einfach nicht mehr aus, deshalb beschloss ich, beim nächsten Mal, wenn er vor einem Stoppschild anhielt oder wenigstens fast zum Stillstand kam, aus dem Wagen zu springen.«

Plötzlich blieb er stehen. Der Mann war versehentlich auf eine Autobahnausfahrt aufgefahren.

Kathleen sprang mit der kleinen Jennifer im Arm aus dem Wagen, lief über die Straße und weiter zu einem Bewässerungsgraben, der mitten auf einem Feld von hohem Gras umgeben war.

»Ringsum wuchs der Wein, und ich legte mich einfach nur flach auf den Boden.« Sie begrub ihre kleine Tochter unter sich, damit sie nicht schreien konnte.

Das Blut pochte ihr in den Schläfen und sie atmete schwer, während der Wagen weiter an der Straße stand. Sie konnte den Mann jetzt sehen. Er hatte eine Taschenlampe in der Hand und ließ den Lichtstrahl über das Feld schweifen. Mehrmals rief er ihr zu, dass sie zurückkommen solle. Dann war wieder Stille bis auf das Zirpen der Grillen. Der Mann näherte sich ihr und ließ die Taschenlampe hin und her schweifen.

»Da kam auf einmal ein alter Sattelschlepper daher und blieb stehen. Die Taschenlampe hatte den Fahrer wohl geblendet, denn er stieg aus dem Führerhaus und rief: ›Was ist denn hier los?‹ Da sprang der Kerl in seinen Wagen und machte sich aus dem Staub.«

Der Wagen des Fremden beschleunigte auf der dunklen Straße und ließ eine graue Staubwolke hinter sich. Der Fahrer des Sattelschleppers kam auf Kathleen zu, und sie bekam es erneut mit der Angst zu tun.

»Nicht noch ein Mann!«, dachte sie. »Er kam den Hügel herunter, direkt auf mich zu, und ich war völlig mit den Nerven fertig. Ich wollte einfach nicht mit ihm fahren und ließ ihn warten, bis eine Frau vorbeikam, mit der ich dann mitfuhr. Aber als wir dann in irgend so ein kleines Kaff kamen, ließ sie mich bei der Polizeiwache aussteigen, und ich ging in das muffige kleine Büro, in dem nur so ein alter Mann, ein Sergeant, saß. Ich erzählte ihm meine Geschichte, und er wurde ziemlich blass. Ich nehme an, dass solche Dinge in der Gegend nicht so oft vorkommen. Na ja, er holte ein Formular, und ich gab ihm eine detaillierte Beschreibung des Mannes und seines Wagens.«

Während sie mit dem Polizisten sprach, fiel Kathleens Blick auf die Wand, an der die Steckbriefe hingen. Sie erschrak und schrie laut auf.

»Oh, mein Gott! Das ist er! Das da ist der Mann!«

An der Wand hing das Phantombild des Mörders von Paul Stine - eine Zeichnung, die den Zodiac-Killer darstellte.

»Der Sergeant kriegte einen ziemlichen Schreck, als ihm klar wurde, dass ich gerade im Wagen eines gesuchten Mörders gesessen hatte. Ihm war offensichtlich gar nicht wohl dabei, dass ich hier bei ihm im Büro war; er hatte sicher Angst, der Kerl könnte zurückkommen und uns beide kaltmachen. Er war allein auf der Wache, und deshalb ging er mit mir zu einem kleinen Gasthaus, das nicht mehr geöffnet hatte. Er ließ den Eigentümer aufsperren, damit ich in dem Gasthaus sitzen konnte, anstatt bei ihm im Büro. Ich war schon ein bisschen sauer auf über den Mann.

Da saß ich also in der dunklen Gaststube und erzählte ihm, wo mein Auto stand«, berichtete Kathleen, »in der Nähe der ARCO-Tankstelle. Und ich glaube, der Sheriff fuhr hin und meldete dann über Funk, dass dort kein Wagen stand. Sie suchten weiter, und nach einer Weile kam die Meldung, dass man das Auto an einer anderen Straße gefunden hatte, aber völlig ausgebrannt.«

Um Kathleens Kombi in die Byrd Road beim Highway 132 zu bringen, musste der Fremde sogar das Rad wieder montiert haben.

»Innen war alles verbrannt. Ich fuhr zum Schrottplatz, weil die ganzen Sachen meiner kleinen Tochter im Auto waren. Ich wollte sehen, ob nicht noch irgendetwas davon zu gebrauchen war. Aber es war alles verbrannt.«

 
 

Ein paar Tage später schickte Toschi Kathleen einige Bilder von Verdächtigen, die zwischen achtundzwanzig und fünfundvierzig Jahre alt waren. Ich fragte sie später nach diesen Fotos.

»Ja,« antwortete sie, »er hat sie mir über den Sheriff von Stanislaus County zukommen lassen. Aber ich hatte den Eindruck, dass der Mann von damals jünger war als die Männer auf den Fotos. Ich glaube, dass ich ihn sofort wieder erkennen würde, wenn ich ihn irgendwo sehen würde.«

Der Mordversuch an Kathleen und ihrem Baby war um Mitternacht und an einem Wochenende passiert; außerdem hatte der Mann Navy-Kleider getragen und einen Bürstenschnitt gehabt - alles Hinweise, die mich vermuten ließen, dass sie dem Zodiac-Killer entkommen war. Darüber hinaus hatte der Fremde eine Brille mit dunkler Fassung getragen und mit einer monotonen Stimme gesprochen - alles Merkmale, die die überlebenden Opfer übereinstimmend erwähnt hatten.

Wenn Kathleen tatsächlich dem Zodiac entwischt war, dann hatte sie den Mörder länger als irgendein anderes seiner Opfer aus nächster Nähe und ohne Verkleidung gesehen. Und sie hatte überlebt und konnte davon berichten.

 

1

 

Zodiac

 

Sonntag, 19. April 1970

 

Der Mann, der mit einem neuen Wagen an der Ecke Bay Street und Embarcadero geparkt hatte, schien ein geradezu zwanghaftes Interesse an der Anzahl der Verbrechen in San Francisco zu haben. Er erzählte überaus detailliert von allen fünfunddreißig Morden, die in diesem Jahr schon in der Stadt verübt worden waren.

»Man kann sich nicht mehr sicher fühlen, wenn man allein irgendwo unterwegs ist«, teilte er Christopher Edwards, einem Schiffssteward, mit, »bei all den Raubüberfällen, Morden und Vergewaltigungen, die heutzutage passieren.« Edwards hatte den Mann nach dem Weg gefragt, als er zu Fuß nach Fisherman’s Wharf ging, und er hatte »irgendwie ein ungutes Gefühl in seiner Nähe«. Der Fremde stellte sich als englischer Ingenieur vor, der seit zehn Jahren in San Francisco lebte. Er bot dem Steward an, ihn ein Stück mitzunehmen, aber Edwards lehnte ab. Er hörte jedoch aufmerksam zu, als der Mann offenbar gut informiert über die Morde in der Stadt sprach; denn nur auf jene Verbrechen, die im Moment die Menschen am meisten beschäftigten - die Zodiac-Morde -, ging er überhaupt nicht ein.

Dass der Mann es offensichtlich vermied, auch nur ein Wort über Zodiac zu sprechen, machte Edwards ziemlich stutzig. Gleich als er beim Pier angelangt war, rief er bei der Polizei an. Etwas später in der Central Station erkannte er den Mann, mit dem er gesprochen hatte, auf einem Phantombild des Zodiac.

Konnte es sein, dass Zodiac ein englischer Ingenieur war?

 

Sonntag, 19. April 1970

 

Die Leiche des bekannten Lampen-Designers Robert Salem wurde verstümmelt und halb enthauptet in seiner eleganten Wohnung, die ihm gleichzeitig als Atelier diente, aufgefunden. Der Mörder hatte offenbar vergeblich versucht, den Kopf des viezigjährigen Salem mit einem langen dünnen Messer abzuschneiden. Als ihm dies nicht gelang, hatte er seinem Opfer wenigstens das linke Ohr abgeschnitten und mitgenommen. An die Wand hatte der Täter mit dem Blut des Toten die Worte »Satan Saves« (»Satan, der Retter«) geschrieben. In größeren Buchstaben stand neben der symbolischen Darstellung eines gekreuzigten Mannes das Wort »ZODIAC«. Auf Salems Bauch fand sich die gleiche Darstellung eines Gekreuzigten, ebenfalls mit dem Blut des Toten gemalt.

Die beiden Inspektoren Gus Coreris und John Fotinos glaubten nicht, dass Zodiac diesen Mord begangen hatte, sondern dass dies eher das Werk eines Nachahmungstäters war.

 
 

Während die Polizei an dem Mordfall Salem arbeitete, war der echte Zodiac anderweitig beschäftigt. Er schrieb mit blauem Filzstift auf einem Blatt Papier von ungewöhnlichem Format wieder einmal einen seiner Briefe, mittlerweile den neunten.

Auf dem Umschlag stand: »Chefredakteur,
San Fran. Chronicle
, San Francisco, Calif.« Der Brief war mit zwei Sechs-Cent-Briefmarken frankiert, dem Doppelten des notwendigen Portos. Es schien so, als könne es der Schreiber gar nicht erwarten, dass sein Brief den Adressaten erreichte. Während er für manche seiner Briefe Bond-Papier von hoher Qualität verwendet hatte, war das Papier in diesem Fall so billig, dass es nicht einmal ein Wasserzeichen enthielt, das auf den Hersteller hingewiesen hätte.

Die Botschaft hatte folgenden Wortlaut:

Hier spricht der Zodiac
Übrigens habt ihr schon
den letzten Geheimtext geknackt
den ich euch geschickt habe?
Mein Name ist …

Nach diesem Absatz folgte eine Zeile mit 13 Symbolen:

 

 

Dieser Hinweis stellte eine enorme Herausforderung dar: 13 Zeichen, hinter denen sich, so behauptete Zodiac, sein Name verbarg.

Jeder entwickelte nun seinen eigenen Ansatz, um den Code zu knacken. Die Ermittler von Vallejo versuchten es mit Multiplikation und Addition in verschiedenen Richtungen, wobei sie von der Ziffer 8 ausgingen, die dreimal innerhalb eines Kreises vorkam. Andererseits wirkten die Zahlen in diesem verschlüsselten Text irgendwie fehl am Platz; immerhin hatte Zodiac in seinen Geheimtexten bisher nie Zahlen verwendet. Konnte es sein, dass es sich gar nicht um die Ziffer 8 handelte, sondern um irgendein anderes Symbol?

Vielleicht war der Geheimtext in diesem Fall auch gar nicht so konstruiert, dass die vorliegenden Zeichen nur ein Ersatz für die Buchstaben der eigentlichen Botschaft waren. Möglicherweise konnte man die Zeile auch wörtlich lesen: »KAEN MY NAME.« Herb Caen war der Leitartikler des
Chronicle
.

 

 

Vielleicht wollte Zodiac auch sagen, dass sein Name Kane sei. »Killer Kane«? Erlaubte sich der stämmige Mörder wieder einmal einen Scherz oder hatte er uns tatsächlich seinen Namen in verschlüsselter Form mitgeteilt? Würden wir schlau genug sein, den Code zu knacken?

Der Brief ging folgendermaßen weiter:

 

Ich bin ein bisschen neugierig wie viel
Geld ihr auf meinen Kopf ausgesetzt habt.
Ihr glaubt hoffentlich nicht, dass ich es war
der diesen blauen Idioten auf der
Wachstube mit einer Bombe kaltgemacht hat.
Auch wenn ich gemeint habe, ich würde Schulkinder
mit einer Bombe töten. Es wäre einfach nicht
so klever, in das Revier eines anderen einzudringen.
Aber es ist sicher glorreicher, einen Bullen
umzubringen als ein Kind, weil ein Bulle
zurückschießen kann. Ich habe bis jetzt zehn
Leute erledigt. Es wären schon viel mehr,
wenn meine Busbombe nicht ein Blindgänger
gewesen wäre. Wir hatten hier leider eine kleine
Überflutung durch den starken Regen.

 

Zodiacs Hinweis auf den Polizistenmord bezog sich auf den Bombenanschlag auf die Polizeiwache Golden Gate Park am 16. Februar, bei dem Sergeant Brian McDonnell getötet und acht weitere Polizisten verletzt worden waren.

Der linke Rand des Textes sowie die Zeilen waren kerzengerade. Es war eine Handschrift, wie man sie bei einem Studenten oder einem Wissenschaftler vermuten könnte. Das große I war sehr ausgeprägt und erinnerte an die römische Ziffer I.

Die zweite Seite des Briefes begann mit den Worten:

 

Die neue Bombe ist so
zusammengesetzt

 

Der Rest der Seite wurde von einem detaillierten Entwurf für eine neue, verbesserte Schulbusbombe eingenommen. Darunter stand folgendes Postskriptum:

 

Ich wünsche euch viel Spaß
beim Rätseln, wen ich umgebracht habe

 

Der Brief schloss mit dem »Spielstand« in dem »Match« zwischen dem Mörder und der Polizei:

 

Zodiac: 10
SFPD (San Francisco Police Department): 0

 

Dienstag, 21. April 1970

 

Der neunte Zodiac-Brief traf mit der Morgenpost beim
Chronicle
ein. Toschi wurde angerufen und kam sofort in die Redaktion, um zu überprüfen, ob der Brief echt war. Obwohl diesmal kein Fetzen von Stines Hemd beigefügt war, gab es genügend andere Hinweise darauf, dass auch diese provokante Botschaft echt war.

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