»Ich weiß«, flüsterte Teaser. »Ich wollte … Als er auf ihr war, hat es mich so hungrig gemacht, ich wollte … Und dann habe ich sein Gesicht gesehen. Mein Gesicht.«
»Er hat auch mein Gesicht eine Weile getragen.« Und niemals würde er die Angst vergessen, von der er ergriffen worden war, als die Kreatur Lynnea angesehen hatte.
Sie reichten die Whiskyflasche ein paar Mal hin und her.
»Dann war dieses Ding wirklich …«
»Ein Inkubus.« Sebastian seufzte. »Ein Reinblut. Ein wahrer Dämon.«
»Aber was sind wir dann?«
»Mischlinge.« Sebastian zwang sich, zu lächeln. »Das Ergebnis der Paarungen von Inkuben und Sukkuben mit Menschen, die Früchte getragen haben.«
Teaser starrte die Whiskyflasche an. »Also … bin ich zum Teil menschlich?«
»Sieht so aus.«
»Weißt du, warum ich mit dir befreundet sein wollte?«
Sebastian zuckte mit den Schultern. »Als ich in den Pfuhl kam, gab es nicht viele Inkuben und Sukkuben hier, und du und ich waren die Jüngsten. Wir mochten einander, und es hat Spaß gemacht, zusammen loszuziehen, also habe ich nicht darüber nachgedacht.«
»Ich wollte mit dir befreundet sein, weil du wusstest, wie man menschlich ist«, sagte Teaser leise. »Wir lernen, Menschen nachzuahmen, um so wenig aufzufallen, dass wir eine Weile an einem Ort bleiben und dort jagen können, aber du kanntest den Unterschied. Als wir das erste Mal bei Philo gegessen haben, hast du ›bitte‹ und ›danke‹ gesagt.«
Peinlich berührt veränderte Sebastian seine Haltung. »Na ja, meine Tante ist eine Verfechterin guten Benehmens.«
Teaser nickte. »Du wusstest all diese Dinge. Du wusstest, wie man mehr tun konnte, als jagen. Du wusstest, wie das Leben im Pfuhl Spaß machen konnte. Ich wollte diese Dinge auch wissen. Nicht, dass ich dich nicht gemocht hätte«, fügte er hinzu und ließ seinen Kopf zur Seite rollen, um Sebastian einen aufrichtigen Blick zuzuwerfen, »aber du warst
mehr
als jeder andere Inkubus, den ich bis dahin getroffen hatte. Und wenn Lee zu Besuch kam … habe ich gesehen, wie es für die Menschen sein muss, Freunde zu haben, herumzualbern, einfach nur Spaß zu haben.«
»Warst du einsam, bevor du in den Pfuhl gekommen bist?« Sebastian erwartete keine Antwort. Teaser sprach nie davon, wo er aufgewachsen war, wie es dort aussah, wie die Inkuben und Sukkuben dort lebten oder ob es sogar eine Landschaft gab, die ihnen etwas wie eine »Heimat« war.
»Lynnea hat mich umarmt«, sagte Teaser leise. »Ich bin noch nie zuvor nur um der Umarmung willen umarmt worden.«
Hätte es die Zeiten, in denen er bei Tante Nadia gelebt hatte, nicht gegeben, hätte er die Wärme und den Trost einer Umarmung auch nie kennen gelernt. Was für ein Mann wäre er ohne Nadia, Glorianna und Lee geworden?
»Ich muss dich irgendwann demnächst einmal mit zu meiner Tante nehmen.«
In Teasers Augen spiegelte sich eine Mischung aus Panik und Hoffnung. »Deine Tante? Aber ich bin … und sie ist … Wird sie nicht etwas dagegen haben?«
Jetzt konnte er ehrlich lächeln. »Tante Nadia hat eine Schwäche für harte Jungs. Sie wird dir Arbeit geben, und im Handumdrehen wirst du dich fühlen wie ein Mensch.«
Teaser lachte leise. Dann fielen ihm die Augen zu.
Sebastian stand auf, stellte die Whiskyflasche auf den Tisch, der neben dem Bett stand, und zog Teaser hoch, bis er beinahe aufrecht stand. »Geh ins Bett und schlaf dich aus. Du wirst morgen früh nicht besonders ausgeruht sein, wenn du auf dem Boden schläfst.«
Teaser schwankte leicht, als er seine Schuhe betrachtete. »Meine Füße sind ganz da unten. Wie haben sie das gemacht?«
»Es ist mir auch ein Rätsel.« Mit einem leichten Schubs stieß er Teaser auf sein Bett. Sebastian zog ihm die Schuhe aus, rollte ihn näher zur Mitte des Bettes und warf ihm eine Decke über.
Dann ging er zurück in sein eigenes Zimmer.
Er ließ sich Ausreden einfallen, um Lynnea nicht zu berühren. Er brauchte ein Bad. Er war müde. Als sie aus dem Badezimmer kam, tat er so, als würde er bereits schlafen.
Ich tue es für sie. Ich weiß jetzt, was in mir steckt. Weiß
es wirklich. Ich kann nicht zulassen, dass meine Unreinheit ihr Leben verdunkelt.
Als sie sich an seinen Rücken schmiegte, drehte er sich nicht um, damit sie ihren Kopf auf seine Schulter legen konnte. Und als ihre Träume ihn einluden, blieb er ihnen fern - und fühlte sich so einsam wie nie zuvor.
Kapitel Siebzehn
Eine sanfte Brise milderte die Sommerhitze, und der Klang der Windspiele, der raschelnden Blätter und des Wassers, das in den Koi-Teich tröpfelte, vermengte sich zu einer Melodie, der kein von Menschenhand gefertigtes Instrument entsprechen konnte.
Glorianna saß auf der Steinbank und sah den goldenen Blitzen zu, während die Kois dem Leben in ihrer eigenen kleinen Welt nachgingen und sich vor nichts fürchteten außer den Fischreihern, die ab und an beschlossen, im Teich zu jagen.
Ein Hauch der Veränderung strich über ihre Haut, flüsterte im Wind. Sie wand den Kopf zur hölzernen Brücke, die sich über einen »Fluss« aus Ziersteinen spannte, und blickte dem Mann entgegen, der plötzlich einen Schritt jenseits der Brücke erschien.
Als er sie erblickte, lächelte er und hob eine Hand zum Gruß.
Sie erwiderte das Lächeln und rückte ein Stück zur Seite, um ihm Platz zu machen. »Guten Morgen, Ehrenwerter Yoshani.«
»Guten Morgen, Glorianna Dunkel und Weise.« Er setzte sich zu ihr auf die Bank, stellte ein gläsernes Gefäß zwischen sie und lächelte erneut. »Heute Morgen bin ich mit dem Gefühl erwacht, dass ich Euch hier finden würde, bevor die Sonne zu hoch steigt. Also folgte ich meinem Gefühl - und hier seid Ihr.«
»Hier bin ich.«
»Wo ist Euer Bruder?«
»Er ist gegangen, um unsere Mutter zu besuchen. Oder genauer gesagt, um zu versuchen, sich zu entscheiden, wie er dazu steht, dass der Liebhaber unserer Mutter ins Haus der Familie zieht.«
»Ah. Der Liebhaber ist ein glücklicher Mann, dass Eure Mutter ihm ihre Achtung schenkt.«
»Ich glaube nicht, dass Lee Eure Weisheit besitzt.«
»Er ist ihr Sohn. Ich bin es nicht. Für mich ist es leichter, Weisheit in diesen Dingen zu besitzen«, sagte Yoshani mit einem breiten Lächeln.
Glorianna lachte. »Es liegt Wahrheit in Euren Worten.« Sie blickte in seine dunklen Augen, die ihr erschienen wie Brunnen, die bis tief hinunter in den großen See der Wahrheit reichten, der im Herzen der Welt lag. »Aber Ihr seid nicht in diesen Teil der Heiligen Stätten gekommen, um Eure Weisheit in diesen Dingen mit mir zu teilen.«
»Ich bin gekommen, Euch dies zu geben.« Er reichte ihr einen glatten weißen Stein, der warm in ihrer Handfläche lag. »Und Euch dies zu zeigen.« Er hob das Glasgefäß auf.
»Was ist das?«
»Es ist ein Glas der Sorgen«, antwortete Yoshani sanft. »In meinem Teil der Welt gehen zu jeder Jahreszeit jene, die dem Licht dienen, mit diesen Gefäßen und einem gro ßen Beutel weißer Steine hinaus in die Dörfer - genug für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. Am Morgen nimmt ein jeder im Dorf einen Stein und trägt ihn mit sich. Über den Tag finden sie alle ruhige Momente, um den Stein in der Hand zu halten und ihm die Dinge zuzuflüstern, die ihnen auf dem Herzen liegen. Kleine Kränkungen, großes Leid. Die Steine lauschen den Sorgen und nehmen sie in sich auf. Bevor die Sonne untergeht, lässt jeder den Stein in das Glas fallen, und der Hüter des Gefäßes gießt sauberes Wasser über die Steine und schließt den Deckel. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang nehmen die Dorfbewohner Krüge und Eimer
mit Wasser und folgen dem Hüter zu dem Ort, den sie zum ›Sorgengrund‹ bestimmt haben. Der Hüter öffnet das Glas und schüttet das Wasser aus, das sich schwarz gefärbt hat. Wieder und wieder wird es gefüllt, bis das Wasser endlich klar aus dem Gefäß fließt. Dann wissen die Menschen, dass sie von ihren Sorgen reingewaschen wurden, und sie kehren leichteren Herzens zu ihrem Leben zurück.«
»Ist etwas in dem Gefäß, das das Wasser schwarz färbt?«, fragte Glorianna und rieb den weißen Stein in ihrer Hand.
»Nur die Sorgen«, sagte Yoshani lächelnd. »Das ist die Magie, welche die Diener des Lichts meines Heimatlandes den Menschen schenken. Die Menschen in Eurem Teil der Welt haben ein Sprichwort: Reise leichten Herzens. Damit ist nicht die Last gemeint, die ein Mann auf dem Rücken tragen kann, sondern die Bürde, die er hier drinnen trägt.« Er klopfte leicht auf seine Brust. »Ist es nicht so?«
»So ist es.«
»Euer Herz reist nicht leicht dieser Tage. Also biete ich Euch die Magie meines Volkes an: Einen Stein... und das Glas der Sorgen.«
Glorianna betrachtete den weißen Stein, der warm und weich in ihrer Hand lag. Wie wäre es, sich von der Last der Erinnerung zu befreien, um das Echo des Schmerzes zur Ruhe kommen zu lassen, das sie seit dem Tag in sich trug, an dem sie erkannt hatte, dass ihre Lehrer und die Zauberer versucht hatten, sie in ihrem Garten einzuschließen? Wie würde es sich anfühlen, dem Stein ihre größte Angst zuzuflüstern - dass eines Tages Einsamkeit ihr Herz so sehr verdunkeln würde, dass sie nicht mehr länger in der Lage wäre, das Licht zu erreichen. Wäre das Leben nicht leichter, wenn sie den Stein zu einem Gefäß für diese Gefühle machen, wenn sie zulassen würde, dass man jene Gefühle fortspült?
Sie schloss die Augen und lauschte der Resonanz von Licht und Dunkelheit, die in ihr widerhallte und sie ebenfalls zu einem Gefäß machte.
Mit einem Seufzer des Bedauerns gab sie Yoshani den Stein zurück.
»Warum wollt Ihr dies Geschenk nicht annehmen, Glorianna Dunkel und Weise?«, fragte Yoshani. »Warum haltet Ihr an Euren Sorgen fest?«
Seine Hand war geöffnet. Es wäre so leicht, den Stein anzunehmen.
Sanft schloss Glorianna seine Finger um den Stein und verbarg ihn so vor ihrem Blick. »Weil, Ehrenwerter Yoshani, ich glaube, dass ich meine Sorgen brauchen werde.«
Nachdem er ein seinem Empfinden nach karges Frühstück beendet hatte, schob Koltak seinen Stuhl zurück, nahm seine Satteltaschen und ging zur Tür. Der Wirt, außer ihm die einzige Person im Schankraum der Taverne, tat so, als säubere er den Tresen mit einem Lumpen, anstatt das dreckige Geschirr wegzuräumen, das die anderen Reisenden hinterlassen hatten.
Wahrscheinlich will er vermeiden, mit mir zu reden.
Der Gedanke war erstaunlich bitter, schließlich wäre er Zuhause empört gewesen, hätte ein einfacher Wirt versucht, ihn anzusprechen.
»Ihr geht also?«, fragte der Wirt und hielt den Blick auf den Lumpen gerichtet, mit dem er das Holz des Tresens abrieb.
»Das tue ich«, erwiderte Koltak kalt und trat zur Tür.
»Euer Pferd ist bereits gesattelt.« Der Mann zögerte. »Wohin seid Ihr unterwegs?«
Warum willst du das wissen?
Aber er drehte sich um und blickte den Mann an. Schließlich war dies ein fremder Ort und dieser eine Tagesritt hatte ihn weit von Zuhause fortgeführt. »Zurück über die Brücke.«
Die Hand, die den Lumpen hielt, erstarrte zitternd. Einen Moment später nahm der Wirt die gleichmäßigen Bewegungen, mit denen er den Tresen polierte, wieder auf. »Na ja, die meisten Menschen haben keine Schwierigkeiten, die Brücke zu überqueren, und die Straße führt Euch geradewegs nach Kendall, einer recht großen Stadt an der Küste. Aber zwischen hier und dort liegt ein ganzes Stück Wildnis, und man sagt, wenn das Herz eines Mannes nicht am rechten Fleck sitzt, kann es sein, dass er den Weg eines Wasserpferdes kreuzt, die in diesem Teil des Landes leben.«
Koltak trat näher an den Tresen. »Wasserpferde?«
Der Wirt nickte. »Wunderschöne schwarze Pferde. Sie laufen direkt auf Euch zu, zahm wie brave Haustiere. Aber in Wahrheit sind sie Dämonen, und wenn man dem Drang, eines von ihnen zu reiten, nachgibt … Nun, man erlebt einen wilden Ritt, habe ich gehört. Sie laufen wie der Wind und so ruhig, dass man denkt, man gleitet über Eis. Aber sobald man eines von ihnen besteigt, nimmt es einen mit seiner Magie gefangen, und man kann nicht mehr absteigen. Also laufen sie, wie es ihnen beliebt und man selbst kann nichts tun, außer mit ihnen zu gehen. Und dann, wenn sie an einen der kleinen Seen oder Teiche kommen, die es dort überall in der Landschaft gibt, laufen sie geradewegs hinein, direkt bis auf den Grund. Den Wasserpferden macht das nichts aus, also bleiben sie unten, während der Mensch, der dumm genug war, sich auf einen Ritt einzulassen, kämpft und um sich schlägt … und schließlich ertrinkt.«
Der Wirt schüttelte den Kopf. »Manche sagen, dann lösen sie die Magie und lassen die Leiche an die Oberfläche steigen, damit sie jeder finden kann, der nach ihr sucht. Und andere sagen, die Wasserpferde nehmen die Ertrunkenen mit zurück ans Ufer des Sees und laben sich an ihrem Fleisch.«
Aufregung ergriff Koltak. Wasserpferde! Eine Dämonenlandschaft.
Er hatte die schwarzen Pferde gesehen, sie aber nicht als Dämonen erkannt. Das bedeutete nicht, dass gerade diese Landschaft mit dem Pfuhl verbunden war, aber Sebastian war in die Stadt der Zauberer gekommen und wieder geflohen, also schien es wahrscheinlich, dass jede dunkle Landschaft, in der es eine Brücke gab, die sie mit der Stadt der Zauberer verband, auch eine Verbindung zu den dunklen Landschaften hatte, die näher an seiner Heimat lagen.