The Kraus Project (33 page)

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Authors: Karl Kraus

BOOK: The Kraus Project
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Ich bin dein

Du bist mein

Welches Glück ist uns beschieden

Nein, es gibt

So verliebt

Wohl kein zweites Paar hienieden.

Es ist durchaus jene Seichtheit, die in Verbindung mit Offenbachscher Musik echte Stimmungswerte schafft oder tiefere satirische Bedeutung annimmt.
Offenbach ist Musik, aber Heine ist bloß der Text dazu.
Und ich glaube nicht, daß ein echter Lyriker die Verse geschrieben hat:

Und als ich euch meine Schmerzen geklagt,

Da habt ihr gegähnt und nichts gesagt;

Doch als ich sie zierlich in Verse gebracht,

Da habt ihr mir große Elogen gemacht.

Aber es ist ein Epigramm; und die Massenwirkung Heinescher Liebeslyrik, in der die kleinen Lieder nicht der naturnotwendige Ausdruck, sondern das Ornament der großen Schmerzen sind, ist damit treffend bezeichnet.
Jene Massenwirkung, durch die der Lyriker Heine sich belohnt fühlt.
Es ist ein Lyriker, der in einer Vorrede schreibt, sein Verleger habe durch die großen Auflagen, die er von seinen Werken zu machen pflege, dem Genius des Verfassers das ehrenvollste Vertrauen geschenkt, und der stolz auf die Geschäftsbücher verweist, in denen die Beliebtheit dieser Lyrik eingetragen stehe.
Dieser Stolz ist so wenig verwunderlich wie diese Beliebtheit.
Wie vermöchte sich eine lyrische Schöpfung, in der die Idee nicht kristallisiert, aber verzuckert wird, der allgemeinen Zufriedenheit zu entziehen?
Nie, bis etwa zur Sterbenslyrik, hat sich eine schöpferische Notwendigkeit in Heine zu diesen Versen geformt, daß es Verse werden mußten; und diese Reime sind Papilloten, nicht Schmetterlinge: Papierkrausen, oft nur eben gewickelt, um einem Wickel vorzustellen.
„Das hätte ich alles sehr gut in guter Prosa sagen können“, staunt Heine, nachdem er eine Vorrede versifiziert hat, und fährt fort: „Wenn man aber die alten Gedichte wieder durchliest, um ihnen, behufs eines erneuerten Abdrucks, einige Nachfeile zu erteilen, dann überrascht einen unversehens die klingelnde Gewohnheit des Reims und Silbenfalls…“ Es ist in der Tat nichts anderes als ein skandierter Journalismus, der den Leser über seine Stimmungen auf dem Laufenden hält.
Heine informiert immer und überdeutlich.
Manchmal sagt ers durch die blaue Blume, die nicht auf seinem Beet gewachsen ist, manchmal direkt.
Wäre das sachliche Gedicht „Die heiligen drei Könige“ von einem Dichter, es wäre ein Gedicht.
„Das Öchslein brüllte, das Kindlein schrie, die heil’gen drei Könige sangen.“ Das wäre die Stimmung der Sachlichkeit.
So ist es doch wohl nur ein Bericht.
Ganz klar wird das an einer Stelle des Vitzliputzli:

Hundertsechzig Spanier fanden

Ihren Tod an jenem Tage;

Über achtzig fielen lebend

In die Hände der Indianer.

Schwer verwundet wurden viele,

Die erst später unterlagen.

Schier ein Dutzend Pferde wurde

Teils getötet, teils erbeutet.

Einer indianischen Lokalkorrespondenz zufolge.
Und wie die Sachlichkeit, so das Gefühl, so die Ironie: nichts unmittelbar, alles handgreiflich, aus jener zweiten Hand, die unmittelbar nur den Stoff begreift.
Im Gestreichel der Stimmung, im Gekitzel des Witzes.

Die Tore jedoch, die ließen

Mein Leibchen entwischen gar still;

Ein Tor ist immer willig,

Wenn eine Törin will.

Diesen Witz macht kein wahrer Zyniker, dem seine Geliebte echappiert ist.
Und kein Dichter ruft einem Fräulein, das den Sonnenuntergang gerührt betrachtet, die Worte zu:

Mein Fräulein, sein Sie munter,

Das ist ein altes Stück;

Hier vorne geht sie unter,

Und kehrt von hinten zurück.

Nicht aus Respekt vor dem Fräulein, aber aus Respekt vor dem Sonnenuntergang.
Der Zynismus Heines steht auf dem Niveau der Sentimentalität des Fräuleins.
Und der eigenen Sentimentalität.
Und wenn er gerührt von sich sagt: „dort wob ich meine zarten Reime aus Veilchenduft und Mondenschein“, dann darf man wohl so zynisch sein wie er und ihn – Herr Heine, sein Sie munter – fragen, ob er nicht vielleicht schreiben wollte: dort wob ich meine zarten Reime für Veilchenduft und Mondenschein, und ob dies nicht eben jene Verlagsfirma ist, auf deren Geschäftsbücher er sich soeben berufen hat.
Lyrik und Satire – das Phänomen ihres Verbundenseins wird faßlich –: sie sind beide nicht da; sie treffen sich in der Fläche, nicht in der Tiefe.
Die Träne hat kein Salz, und dieses Salz salzt nicht.
Wenn Heine, wie sagt man nur, „die Stimmung durch einen Witz zerreißt“, so habe ich den Eindruck, er wolle dem bunten Vogel Salz auf den Schwanz streuen; ein altes Experiment: der Vogel entflattert doch.
Im Fall Heine glückt die Illusion, wenn schon nicht das Experiment.
Man kann ihm das Gegenteil beweisen; ihm, aber nicht den gläubigen Zuschauern.
Er wurde nicht nur als der frühe Begleiter von Allerwelts lyrischen Erlebnissen durchs Leben mitgenommen, sondern immer auch dank seiner Intellektualität von der Jugendeselei an die Aufklärung weitergegeben.
Und über alles wollen sie aufgeklärt sein, nur nicht über Heine, und wenn sie schon aus seinen Träumen erwachen, bleibt ihnen noch sein Witz.

Dieser Witz aber, in Vers und Prosa, ist ein asthmatischer Köter.
Heine ist nicht imstande, seinen Humor auf die Höhe eines Pathos zu treiben und von dort hinunter zu jagen.
Er präsentiert ihn, aber er kann ihm keinen Sprung zumuten.
Wartet nur!
ist der Titel eines Gedichtes:

Weil ich so ganz vorzüglich blitze,

Glaubt ihr, daß ich nicht donnern könnt’!

Ihr irrt euch sehr, denn ich besitze

Gleichfalls fürs Donnern ein Talent.

Es wird sich grausenhaft bewähren,

Wenn einst erscheint der rechte Tag;

Dann sollt ihr meine Stimme hören,

Das Donnerwort, den Wetterschlag.

Gar manche Eiche wird zersplittern

An jenem Tag der wilde Sturm,

Gar mancher Palast wird erzittern

Und stürzen mancher Kirchenturm!

Das sind leere Versprechungen.
Und wie sagt doch Heine von Platen?

Eine große Tat in Worten,

Die du einst zu tun gedenkst!

O, ich kenne solche Sorten

Geist’ger Schuldenmacher längst.

Hier ist Rhodus, komm und zeige

Deine Kunst, hier wird getanzt!

Oder trolle dich und schweige,

Wenn du heut nicht tanzen kannst.

„Gleichfalls fürs Donnern ein Talent“ haben – das sieht ja dem Journalismus ähnlich.
Aber von Donner kein Ton und vom Blitz nur ein Blitzen.
Nur Einfälle, nur das Wetterleuchten von Gedanken, die irgendwo niedergegangen sind oder irgendwann niedergehen werden.

Denn wie eigene Gedanken nicht immer neu sein müssen, so kann, wer einen neuen Gedanken hat, ihn leicht von einem andern haben.
Das bleibt für alle paradox, nur für jenen nicht, der von der Präformiertheit der Gedanken überzeugt ist, und davon, daß der schöpferische Mensch nur ein erwähltes Gefäß ist, und davon, daß die Gedanken und die Gedichte da waren vor den Dichtern und Denkern.
Er glaubt an den metaphyischen Weg des Gedankens, der ein Miasma ist, während die Meinung kontagiös ist, also unmittelbarer Ansteckung braucht, um übernommen, um verbreitet zu werden.
Darum mag ein schöpferischer Kopf auch das aus eigenem sagen, was ein anderer vor ihm gesagt hat, und der andere ahmt Gedanken nach, die einem schöpferischen Kopf erst später einfallen werden.
Und nur in der Wonne sprachlicher Zeugung wird aus dem Chaos eine Welt.
Die leiseste Belichtung oder Beschattung, Tönung und Färbung eines Gedankens, nur solche Arbeit ist wahrhaft unverloren, so pedantisch, lächerlich und sinnlos sie für die unmittelbare Wirkung auch sein mag, kommt irgendwann der Allgemeinheit zugute und bringt ihr zuletzt jene Meinungen als verdiente Ernte ein, die sie heut mit frevler Gier auf dem Halm verkauft.
Alles Geschaffene bleibt, wie es da war, eh es geschaffen wurde.
Der Künstler holt es als ein Fertiges vom Himmel herunter.
Die Ewigkeit ist ohne Anfang.
Lyrik oder ein Witz: die Schöpfung liegt zwischen dem Selbstverständlichen und dem Endgültigen.
Es werde immer wieder Licht.
Es war schon da und sammle sich wieder aus der Farbenreihe.
Wissenschaft ist Spektralanalyse: Kunst ist Lichtsynthese.
Der Gedanke ist in der Welt, aber man hat ihn nicht.
Er ist durch das Prisma stofflichen Erlebens in Sprachelemente zerstreut, der Künstler schließt sie zum Gedanken.
Der Gedanke ist ein Gefundenes, ein Wiedergefundenes.
Und wer ihn sucht, ist ein ehrlicher Finder, ihm gehört er, auch wenn ihn vor ihm schon ein anderer gefunden hätte.

So und nur so hat Heine von Nietzsche den Nazarenertypus antizipiert.
Wie weitab ihm die Welt Eros und Christentum lag, welche doch in dem Gedicht „Psyche“ mit so hübscher Zufälligkeit sich meldet, zeigt er in jedem Wort seiner Platen-Polemik.
Heine hat in den Verwandlungen des Eros nur das Ziel, nicht den Weg des Erlebnisses gesehen, er hat sie ethisch und ästhetisch unter eine Norm gestellt, und hier, wo wir an der Grenze des erweislich Wahren und des erweislich Törichten angelangt sind, hat er vielmehr den seligen Herrn Maximilian Harden antizipiert.
In dieser berühmten Platen-Polemik, die allein dem stofflichen Interesse an den beteiligten Personen und dem noch stofflicheren Vergnügen an der angegriffenen Partie ihren Ruhm verdankt und die Heines Ruhm hätte auslöschen müssen, wenn es in Deutschland ein Gefühl für wahre polemische Kraft gäbe und nicht bloß für das Gehechel der Bosheit, in dieser Schrift formt Heine sein erotisches Bekenntnis zu den Worten:

Der eine ißt gern Zwiebeln, der andere hat mehr Gefühl für warme Freundschaft, und ich als ehrlicher Mann muß aufrichtig gestehen, ich esse gern Zwiebeln, und eine schiefe Köchin ist mir lieber, als der schönste Schönheitsfreund.

Das ist nicht fein, aber auch nicht tief.
Er hatte wohl keine Ahnung von den Varietäten der Geschlechtsliebe, die sich am Widerspiel noch bestätigt, und spannte diese weite Welt in das grobe Schema Mann und Weib, normal und anormal.
Noch im Sterben ist ihm ja die Vorstellung von der Kuhmagd, die „mit dicken Lippen küßt und beträchtlich riecht nach Mist“, geläufig, wiewohl sie dort nur eine bessere Wärme als der Ruhm geben soll und nicht als die warme Freundschaft.
Wer so die Seele kennt, ist ein Feuilletonist!
Feuilletonistisch ist Heines Polemik durch die Unverbundenheit, mit der Meinung und Witz nebeneinander laufen.
Die Gesinnung kann nicht weiter greifen als der Humor.
Wer über das Geschlechtsleben seines Gegners spottet, kann nicht zu polemischer Kraft sich erheben.
Und wer die Armut seines Gegners verhöhnt, kann keinen bessern Witz machen, als den: der Ödipus von Platen wäre „nicht so bissig geworden, wenn der Verfasser mehr zu beißen gehabt hätte“.
Schlechte Gesinnung kann nur schlechte Witze machen.
Der Wortwitz, der die Kontrastwelten auf die kleinste Fläche drängt und darum der wertvollste sein kann, muß bei Heine ähnlich wie bei dem traurigen Saphir zum losen Kalauer werden, weil kein sittlicher Fonds die Deckung übernimmt.
Ich glaube, er bringt das üble Wort, einer leide an der „Melancholik“, zweimal.
Solche Prägungen – wie etwa auch die Zitierung von Platens „Saunetten“ und die Versicherung, daß er mit Rothschild „famillionär“ verkehrt habe – läßt er dann freilich den Hirsch Hyacinth verantworten.
Und dieser Polemiker spricht von seiner guten protestantischen Hausaxt!
Eine Axt, die einen Satz nicht beschneiden kann!
Seiner Schrift gegen Börne geben die wörtlichen Zitate aus Börne das Rückgrat, aber wenn er darin Börne sprechend vorführt, spürt man ganz genau, wo Heine über Börne hinaus zu schwätzen beginnt.
Er tuts in der breitspurigen Porzellangeschichte.
Auf Schritt und Tritt möchte man redigieren, verkürzen, vertiefen.
Einen Satz wie diesen: „Nächst dem Durchzug der Polen, habe ich die Vorgänge in Rheinbayern als den nächsten Hebel bezeichnet, welcher nach der Juliusrevolution die Aufregung in Deutschland bewirkte, und auch auf unsere Landsleute in Paris den größten Einfluß ausübte“, hätte ich nicht durchgehen lassen.
Die Teile ohne Fassung, das Ganze ohne Komposition, jener kurze Atem, der in einem Absatz absetzen muß, als müßte er immer wieder sagen: so, und jetzt sprechen wir von etwas anderm.
Wäre Heine zum Aphorismus fähig gewesen, zu dem ja der längste Atem gehört, er hätte auch hundert Seiten Polemik durchhalten können.
Von Börne, der in dieser Schrift als sittlich und geistig negierte Person den Angreifer überragt, sagt er: „Alle seine Anfeindungen waren am Ende nichts anderes, als der kleine Neid, den der kleine Tambour-Maitre gegen den großen Tambour-Major empfindet – er beneidete mich ob des großen Federbusches, der so keck in die Lüfte hineinjauchzt, ob meiner reichgestickten Uniform, woran mehr Silber, als er, der kleine Tambour-Maitre, mit seinem ganzen Vermögen bezahlen konnte, ob der Geschicklichkeit, womit ich den großen Stock balanciere usw.“ Die Geschicklichkeit ist unleugbar, und der Tambour-Major stimmt auch.
In Börnes Haushalt sieht Heine „eine Immoralität, die ihn anwidert“, „das ganze Reinlichkeitsgefühl seiner Seele“sträubt sich in ihm „bei dem Gedanken, mit Börnes nächster Umgebung in die mindeste Berührung zu geraten“.
Er weiß die längste Zeit auch nicht, ob Madame Wohl nicht die Geliebte Börnes ist „oder bloß seine Gattin“.
Dieser ganz gute Witz ist bezeichnend für die Wurzellosigkeit des Heineschen Witzes, denn er deckt sich mit dem Gegenteil der Heineschen Auffassung von der Geschlechtsmoral.
Heine hätte sich schlicht bürgerlich dafür interessieren müssen, ob Madame Wohl die Gattin Börnes oder bloß seine Geliebte sei.
Er legt ja noch im Sterbebett Wert auf die Feststellung, er habe nie ein Weib berühret, wußt’ er, daß sie vermählet sei.
Aber in dieser Schrift sind auch andere peinliche Widersprüche.
So wird Jean Paul der „konfuse Polyhistor von Bayreuth“ genannt, und von Heine heißt es, er habe sich „in der Literatur Europas Monumente aufgepflanzt, zum ewigen Ruhme des deutschen Geistes“… Der deutsche Geist aber möchte vor allem das nackte Leben retten; und er wird erst wieder hochkommen, wenn sich in Deutschland die intellektuelle Schmutzflut verlaufen haben wird.
Wenn man wieder das Kopfwerk sprachschöpferischer Männlichkeit erfassen und von dem erlernbaren Handwerk der Sprachzärtlichkeiten unterscheiden wird.
Und ob dann von Heine mehr bleibt als sein Tod?

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