Read Zodiac Online

Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

Zodiac (31 page)

BOOK: Zodiac
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Der zweite Brief war am 8. Juli, einem Montag, in einen Briefkasten in San Rafael geworfen worden. Von allen Briefen war dieser wohl einer der merkwürdigsten; er unterschied sich mit seiner fließenden Handschrift und den großzügigen Schleifen mancher Buchstaben schon rein äußerlich von den deklarierten Zodiac-Briefen.

 

Sehr geehrter Herr Chefredakteur,
schicken Sie Marco dorthin zurück,
wo er herkommt, nämlich zur Hölle - er hat
eine schwere psychische Störung -
er braucht das ständige Gefühl der Überlegenheit.
Ich würde vorschlagen, dass Sie ihn an einen
Psychiater verweisen. Auf die Count-Marco
Kolumne können Sie getrost verzichten.
WEnn der Count anonym schreibt,
kann ich das auch -
(gezeichnet) das Rote Phantom
(Rot vor Wut)

Der antifeministische Kolumnist Marco Spinelli, ein ehemaliger Friseur, verließ den
Chronicle
nach fünfzehn Jahren wegen dieser Drohung und ließ sich auf Hawaii nieder, um sich ein schönes Leben zu machen. Mittlerweile ist er wieder zurückgekehrt.

Der einzige Film, in dem ein »Rotes Phantom« vorkam, lief zu der Zeit gerade in einem Stummfilmkino, einem Gebäude mit einer kuppelförmigen Decke, an der eine riesige Abbildung des Tierkreises, Zodiak genannt, aufgemalt war. Der Film hieß »Das Phantom der Oper« und stammte aus dem Jahr 1924.

Die Polizei von San Francisco hatte indessen immer noch keinen ernsthaft Verdächtigen gefunden.

 

Samstag, 24. Juli 1976

 

Bill Armstrong blickte auf die Leiche hinunter, die auf dem Bürgersteig der Van Ness Street lag, und plötzlich holten ihn all die grausigen Erlebnisse ein, die ihm in seinen Jahren in der Mordkommission widerfahren waren; er beschloss in diesem Augenblick, den Job hinzuschmeißen, und ließ sich gleich am nächsten Tag in das Betrugsdezernat versetzen. Sherwood Morrill hörte außerdem, dass Armstrong einen Disput mit Toschi hatte, der auch später nie ganz bereinigt wurde. Beide Männer weigern sich jedoch bis heute, über die Sache zu reden. Im Grunde ging es wohl darum, dass der sensible intelligente Armstrong ganz einfach einen Mord zu viel miterlebt hatte.

In Vallejo erzählte mir Sergeant Lynch: »Armstrong schien mir ganz einfach ausgebrannt zu sein. Er konnte sich nie einfach mal entspannt hinsetzen und reden. Der Bursche kam mir immer so vor, als könnte er jeden Moment explodieren.«

 

Donnerstag, 29. Juli 1976

 

Herb Caen schrieb in seiner täglichen Kolumne im
Chronicle
:

 

Der Inspektor der Mordkommission Dave »Trenchcoat« Toschi ist im Moment der einzige Cop in San Francisco, der an dem Zodiac-Fall arbeitet. Er hat zuletzt vor über zwei Jahren von dem Mörder gehört, als Zodiac »Der Exorzist« als »Komödie« bezeichnete und zuletzt den aktuellen »Spielstand« in seinem Wettstreit mit der Polizei angab: »ICH 37, SFPD 0«. Vielleicht wird ihn »Das Omen« wieder zu einer Reaktion bewegen.

 

Nachdem sich Armstrong hatte versetzen lassen, war Toschi der einzige Ermittler in San Francisco, der einen der schwierigsten Mordfälle in der amerikanischen Geschichte bearbeitet.

»Es ist eine riesige Aufgabe. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an den Zodiac denke. Und jetzt, wo ich der Einzige bin, der den Fall bearbeitet«, verriet Toschi, »ist es noch persönlicher geworden. Ich habe acht Schubladen voll mit Zodiac-Material, darunter die Namen von über 2 000 möglichen Verdächtigen. Ich weiß nicht, ob ich den Fall jemals lösen kann, aber ich werde auf jeden Fall alles versuchen. Ich spüre, dass er noch da ist und dass er wieder auftauchen wird.«

Toschis Gesundheit litt unter der enormen Belastung, den geistesgestörten Killer finden zu müssen. Er wurde für seine Arbeit geachtet und bewundert, doch er machte sich im Laufe der Jahre auch einige mächtige Feinde.

 

Dienstag, 31. Mai 1977

 

Am 3. März hatte das FBI Kopien von allen Zodiac-Briefen angefordert. Die Bundeskriminalpolizei beschäftigte sich also immer noch mit dem Fall, ohne jedoch entscheidend zur Lösung beitragen zu können.

Der führende Experte für Psycholinguistik, Dr. Murray S. Miron, kam anhand von 19 Zodiac-Briefen zu folgender Einschätzung des Täters, die er in einem geheimen Bericht des Syracuse Research Institute festhielt: Zodiac »hat eine Basisausbildung in Kryptografie absolviert« und »ist ein weißer unverheirateter Mann zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Er hat höchstens eine Highschool-Ausbildung, liest wenig, lebt isoliert und zurückgezogen und ist von der Persönlichkeit her ruhig und nicht sehr einnehmend.« Miron meinte weiter, dass der Mörder über ein gutes Sehvermögen verfüge und ansonsten ein Mensch sei, der »die Passivität des Fernsehens und des Kinos« bevorzuge und noch nicht einmal eine kleine Sammlung von »billigen Taschenbüchern« besitze. Mirons Ansicht nach würde Zodiac »oft Kinos aufsuchen, in denen vor allem sadomasochistische Filme und okkult-erotische Filme laufen. Er ist ein Psychotiker, dessen Kommunikationsverhalten von magischem Denken und einer narzisstischen Infantilität geprägt ist, wie es für Schizophrene typisch ist.

Solche Menschen neigen zu eigentümlichem Verhalten, um damit in gewisser Weise die dahinterliegende Psychose zu verbergen. Sie können große emotionale Schwankungen durchleben - von absoluter Euphorie bis hin zur tiefsten Depression. Solche Persönlichkeiten leben sehr zurückgezogen und geben vor, ein wohl geordnetes, ganz normales Leben zu führen.«

Miron sah in dem Brief an Belli vom Dezember 1969 Hinweise auf die Depression, die »ihn oft überfällt (…) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich solche Menschen in einer akuten Depression das Leben nehmen.« Nachdem Zodiac offenbar Angst davor hatte, die Beherrschung verlieren zu können, vermutete Miron, dass er »die enthemmende Wirkung des Alkohols« ebenso meiden würde wie »normale sexuelle Kontakte mit Frauen.«

Die Briefe aus dem Jahr 1974 zeigten »einen moralisierenden Ton ohne ausdrückliche Drohungen, Prahlereien und seine üblichen Symbole. Das Moralisieren würde zu einem inneren Zustand passen, der schließlich in den Selbstmord münden könnte. Es gibt jedoch auch eine andere Interpretationsmöglichkeit dieser fortschreitenden Wandlung des Zodiac. Möglicherweise steht nicht der Selbstmord der Person bevor, sondern nur der symbolische Tod des Zodiac … Die soziopathische Persönlichkeit tritt mit zunehmendem Alter des Mannes vielleicht immer mehr in den Hintergrund.«

 

Freitag, 10. Juni 1977

 

Gegen zehn Uhr vormittags sprach ein FBI-Ermittler mit einer jungen Frau namens Karen in ihrer Wohnung in Vallejo. Sie war im Februar 1969 Darlene Ferrins Babysitterin gewesen und hatte den Mann, der im weißen Auto vor Darlenes Haus geparkt hatte, als Erste gesehen. Freunde hatten sie überredet, mit ihrer Information endlich zur Polizei zu gehen.

Der Ermittler und Karen unterhielten sich beim Kaffee in ihrem Wohnzimmer. Schließlich holte der Mann seinen Kassettenrekorder hervor, stellte ihn auf den Couchtisch und nahm Kugelschreiber und Notizblock zur Hand. Obwohl er das Gespräch aufnahm, schrieb der Ermittler jedes Wort mit, das gesprochen wurde.

Sie erzählte ihm ausführlich, was an jenem 26. Februar 1969 geschehen war.

Eine weiße Limousine amerikanischer Bauart war seit zehn Uhr abends vor dem Haus geparkt gewesen. Der Mann am Steuer ließ das Haus nicht aus den Augen. Gegen Mitternacht zündete er ein Streichholz an, sodass sie für einen kurzen Augenblick sein Gesicht erkennen konnte.

»Er war stämmig und hatte ein rundes Gesicht«, gab sie an. »Er hatte dunkelbraunes gewelltes Haar. Ich glaube, er war so um die vierzig.«

Karen berichtete weiter, dass sie Darlene am nächsten Tag von dem Mann erzählt habe. »Sie schien zu wissen, wer er war. Sie sagte zu mir: ›Ich schätze, er will mich wieder überprüfen. Ich habe schon gehört, dass er wieder in der Gegend ist.‹ Darlene erzählte mir, dass sie gesehen hätte, wie er jemanden ermordet hatte. Sie erwähnte den Namen des Mannes, aber ich weiß nur mehr, dass sein Vorname sehr kurz war, nur drei oder vier Buchstaben, und dass sein Nachname auch nicht viel länger war. Es war ein recht geläufiger Name. Ich habe eigentlich ein gutes Namensgedächtnis. Er hieß …«

Das ist es, dachte der Ermittler. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Karen«, sagte er. »Wir haben alle Zeit der Welt.«

Der Polizist wartete und wartete, bis Karen schließlich mit den Achseln zuckte. »Tut mir Leid. Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern.«

»Ich habe eine Idee«, sagte der Ermittlungsbeamte. »Kann ich mal kurz telefonieren?« Er rief Lieutenant James Husted in Vallejo an, um ihn zu ersuchen, eine Hypnosesitzung für Karen zu arrangieren. Er hoffte, dass sie sich auf diese Weise an alles erinnern konnte, was an jenem Abend im Jahr 1969 geschehen war. Husted antwortete, dass er diesen Schritt befürworte und alles in die Wege leiten würde, und auch Karen hatte gegen eine Hypnosesitzung nichts einzuwenden.

 

Mittwoch, 15. Juni 1977

 

Lieutenant Husted rief Lieutenant Larry Haynes vom Police Department in Concord, Kalifornien, an, der sich sofort bereit erklärte, in der Sache mit Karen zu helfen. Haynes hatte eine Ausbildung am Hypnoseinstitut der Polizei Los Angeles absolviert. Er sagte, dass es keine Rolle spiele, wie viele Jahre seit dem Vorfall vergangen waren.

 

Donnerstag, 16. Juni 1977

 

Karen traf sich mit Husted im Police Department von Vallejo, um dann für die Hypnosesitzung zu Haynes nach Concord zu fahren. Die Sitzung wurde in Bild und Ton aufgezeichnet.

»Nachdem Lieutenant Haynes die Zeugin in eine hypnotische Trance versetzt hatte«, stand in Husteds Bericht, »sprach er bestimmte wichtige Punkte an, insbesondere das Gespräch, das Karen mit Darlene Ferrin geführt hatte (…) und zwar über den Mann, von dem sie einmal gesagt hatte, sie habe ihn bei einem Mord beobachtet. Karen konnte eine allgemeine Beschreibung von dem Mann im Auto liefern …

Der Name des Betreffenden fiel ihr nicht ein, obwohl sie sich insgesamt noch gut an das Gespräch mit Darlene erinnern kann«, hieß es in dem Bericht weiter. »Sie gab an, dass in dem Moment, als der Name fiel, das Telefon geklingelt hätte - aber möglicherweise ist das mehr ein Vorwand, weil sie unbewusst versucht, die Information zurückzuhalten, wahrscheinlich aus Angst, vor Gericht aussagen zu müssen.«

Der FBI-Ermittler sah die Sache ein wenig anders. Husted war ein guter Polizist, aber ein etwas schroffer Mensch und der Ermittler war überzeugt, dass Karen sich deshalb nicht an den Namen erinnern konnte, weil sie in Husteds Gegenwart nervös war.

»Man sagte ihr auch, dass sie sich an das Gesicht des Mannes erinnern solle, um zusammen mit einem Zeichner der Polizei ein Phantombild zu erstellen«, schloss der Bericht.

Dieses Phantombild kam jedoch nie zustande.

 
 

Als Leiter der Questioned Documents Section des CI&I, die sich vor allem mit der Analyse von strittigen Schriftstücken beschäftigte, war Sherwood Morrill von Anfang an mit dem Zodiac-Fall vertraut gewesen und blieb es auch, nachdem er in den Ruhestand getreten war. Morrill war der versierteste Handschriftenexperte in ganz Kalifornien und bearbeitete an die hundert Fälle im Monat. Seine Aufgabe war es, die Echtheit jedes einzelnen Zodiac-Briefes festzustellen, der im Laufe der Jahre ankam. Der Experte hoffte darauf, eines Tages eine Handschrift zu entdecken, die der des Zodiac entsprach. Ich besuchte den groß gewachsenen würdevollen Mann, der einst Naturwissenschaften und Psychologie studiert hatte, relativ oft in seinem Büro in Sacramento, und wir hatten mit der Zeit einen recht freundschaftlichen Umgang miteinander. Nach neununddreißig Jahren als führender Handschriftenexperte des gesamten Bundesstaates ging er im Dezember 1972 in den Ruhestand. Er hatte im Laufe seiner Karriere nicht weniger als 2 500 Mal vor Gericht ausgesagt. Unter anderem hatte er an den Fällen des Serienkillers Juan Corona, der Bürgerrechtlerin Angela Davis und der »San Quentin Six« mitgearbeitet. Aber die mit Abstand größte Herausforderung seiner Berufslaufbahn stellte für ihn der Zodiac-Fall dar.

»Meinen Sie«, fragte ich Morrill, »dass das kursive
d
und das häkchenartige
r
zu Zodiacs echter Handschrift gehören?«

»Nachdem er nicht davon abweicht, nehme ich es schon an.«

»Und was ist mit dem ungewöhnlichen
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»Na ja, davon ist er irgendwann abgewichen«, antwortete Morrill.

»Sie haben einmal gemeint, wenn Sie zufällig in einer Bank neben Zodiac stehen würden und zusehen könnten, wie er ein Einzahlungsformular ausfüllt, würden Sie ihn sofort erkennen.«

»Ja, davon bin ich überzeugt. Wenn ich ein paar geschriebene Worte von ihm sehen könnte, würde ich ihn auf Anhieb erkennen.«

»Ich habe gehört, dass er Briefpapier vom Format siebeneinhalb mal zehn verwendet hat.«

»Ja, siebeneinhalb mal zehn Zoll«, bestätigte Morrill nachdenklich. »Ich habe mich auch gefragt, warum er gerade dieses Format benutzt. Achteinhalb wäre die Normgröße.«

Ich nahm mir vor, mich mit diesem Detail näher zu beschäftigen.

 
 

Die Zodiac-Briefe von Riverside waren auf Telex-Papier geschrieben. Konnte es sein, dass Zodiac sein Briefpapier selbst zuschnitt? In den späten Sechzigerjahren gab es Telex-Papier (TTS-Papier) in Rollen, das von Zeitungen benutzt wurde und das, wie ich mich erinnerte, relativ schmal war. Ein Anruf bei den Nachrichtenagenturen Associated Press und UPI ergab jedoch, dass es nicht dem Format der Zodiac-Briefe entsprach - es sei denn, der Mörder hatte es auch in der Breite zugeschnitten. TTS-Papier würde wieder auf jemanden hinweisen, der in irgendeiner Weise mit Zeitungen zu tun hatte.

Ich fragte mich, ob Zodiac vielleicht ein Drucker war, der übrig gebliebenes Papier von ungewöhnlichem Format verwendete. Ich rief in verschiedenen Geschäften für Briefpapier an und erfuhr, dass die Briefe auf Papier von so genanntem Monarch-Format verfasst waren; wenn ich welches haben wollte, hätte ich mindestens fünfhundert Blatt bestellen müssen, da dieses Papier erst aus herkömmlichem Qualitätspapier geschnitten werden musste.

Die Ränder des Zodiac-Briefpapiers waren scharf, sauber und gerade; bestimmt war das Papier nicht von Hand, sondern in einem Geschäft oder in einer Fabrik mit der Maschine zugeschnitten worden. Bemerkenswert war nur, dass die Länge und Breite der einzelnen Blätter um einige Millimeter variierte. Keine Fabrik lieferte Papier von so unregelmäßigem Zuschnitt, deshalb ging ich davon aus, dass es sich um Restbestände von verschiedenen Sonderbestellungen handelte. Die unterschiedliche Größe bedeutete, dass Zodiac oft Bestellungen von je fünfhundert Blatt getätigt haben musste, aus denen er einzelne Blätter für seine Briefe entnahm.

BOOK: Zodiac
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