Zodiac (43 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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»Es passte einfach alles zusammen«, erzählte mir Toschi später, »aber wir wussten einfach nicht, wie wir beweisen sollten, dass er der Zodiac-Killer war.«

 
 

Ich hatte das Gefühl, dass es ein Fehler gewesen war, nicht das Haus von Starrs Mutter in Vallejo zu durchsuchen, wo Starr sich oft aufhielt - doch das Haus stand in einem anderen Bezirk. Diese Strategie, zwischen den Bezirken hin und her zu wechseln, hatte Zodiac von Anfang an eingesetzt. Er verübte seine Morde gerne in Gegenden, wo die polizeiliche Zuständigkeit nicht ganz eindeutig geklärt war. Wenn Starr der Zodiac war, dann brauchte er nach der Durchsuchung in Santa Rosa nur nach Vallejo zu fahren und alle Beweisstücke zu zerstören, die er eventuell im Keller seiner Mutter aufbewahrte.

Vom Department of Motor Vehicles erfuhr ich, dass Starr im Jahr 1979 zwei Wohnwagen besaß. Konnte es sein, dass er schon 1971 weitere Wohnwagen hatte, die nicht registriert waren? Möglicherweise hatte er sogar in jedem Bezirk, in dem Zodiac zugeschlagen hatte, einen Wohnwagen stehen, und die Ermittler hatten einfach nur Pech gehabt und den falschen durchsucht.

Starrs Vater starb kurz vor dem Mord in Riverside (1966). Von ihm hatte sein Sohn die Freude am Segeln. Bei seinen Morden trug Zodiac üblicherweise altmodische Navy-Kleidung. War es denkbar, dass Starr aus Hass oder auch aus Liebe zu seinem Vater dessen Kleider anzog, wenn er jemanden ermordete? Hatten diese Sachen vielleicht bis 1975, als das Haus in Vallejo verkauft wurde, im Kleiderschrank seines Vaters gehangen?

Zodiac sprach von der »Todesmaschine«, die er in seinem Keller stehen hatte. Starrs Zimmer im Haus seiner Mutter in Vallejo befand sich im Keller. Und es wimmelte dort von all den Tieren, mit denen Starr experimentierte.

Starr hatte Chemie studiert; die Busbombe, von der Zodiac gesprochen hatte, war eine chemische Bombe.

Starr verbrachte rund drei Jahre in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, nachdem er 1975 wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden war. Als er entlassen wurde, zog er im Haus seiner Mutter in Santa Rosa ein. Sie verwöhnte ihn und kaufte ihm ein Flugzeug und zwei Boote.

Besonders interessant an Starr waren jedoch die Zeitpunkte verschiedener Ereignisse seines Lebens im Vergleich mit bestimmten Aktivitäten des Zodiac-Killers:

 
 

22. März 1971: Zodiac-Postkarte an den
Chronicle
.
4. Juni 1971: Starrs Wohnwagen wird durchsucht.
Juni 1971 bis 28. Januar 1974: Ohne Erklärung kommen keine Zodiac-Briefe mehr. In dieser Zeit (Februar 1972) beginnt jene Serie von Morden, die alle mit Santa Rosa zu tun haben.
29. Januar 1974: Erster Zodiac-Brief nach drei Jahren.
8. Mai 1974: Zodiac-Brief an den
Chronicle
.
8. Juli 1974: Zodiac-Brief an den
Chronicle
.
Dezember 1975: Starr wird wegen Kindesmissbrauchs in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Die Mordserie an jungen Anhalterinnen in der Umgebung von Santa Rosa reißt ab.
30. Dezember 1977: Starr wird entlassen. Er schreibt sofort einen maschinegeschriebenen Brief an Toschi.
24. April 1978: Zodiac schreibt den ersten Brief nach vier Jahren.
24. Februar 1979: Der erste Mord seit 1975, der Zodiacs Handschrift trägt, wird verübt; Teresa Matthews wird an einem Samstag erdrosselt und bei einem Gewässer (Russian River) aufgefunden.

 
 

Wenn Starr tatsächlich der Zodiac-Killer war, dann hatte ihn die Durchsuchung seines Wohnwagens in Santa Rosa bewogen, keine Briefe mehr zu schreiben, bis sich der Sturm gelegt hatte. Als Starr nach drei Jahren aus der Anstalt entlassen wurde, meldete sich auch Zodiac wieder mit einem Brief.

 
 

Ich fragte den für Starr zuständigen
Parole Officer
, also jenen Beamten, der die unter Schutzaufsicht stehenden Haftentlassenen zu überwachen hatte, ob er vielleicht einen Brief von ihm erhalten habe. Er hatte tatsächlich einen maschinegeschriebenen Brief von Starr bekommen, der mit dem doppelten Porto versehen war und dessen Handschrift auf dem Umschlag schräg nach unten verlief.

»Aber nicht nur das, Inspektor«, teilte ich Toschi mit, »der Mann hatte überhaupt keine Ahnung, dass der Kerl ein Verdächtiger im Zodiac-Fall ist. An dem Tag, als er es erfuhr, sah er sich gerade zu Hause Kopien der Zodiac-Briefe an. Er bekam den ganzen Abend solche merkwürdigen Anrufe, in denen sich niemand meldete und nur leises Atmen zu hören war. ›Ich glaube‹, erzählte der Beamte seiner Freundin, ›dass er weiß, dass ich es weiß und dass er weiß, dass ich weiß, dass er es weiß.‹

Der Parole Officer versuchte bei einem der monatlichen Treffen, Starr ein bisschen auf den Zahn zu fühlen und zu beobachten, wie er reagierte.

»›Sie sagen, Sie kommen nur ungern zu diesen Treffen, Bob‹, begann der Beamte, ›aber wenn Sie’s nicht tun, müssen Sie wieder ins Gefängnis.‹<

Als Starr das hörte, schlossen sich seine Hände um die Armlehnen, und er senkte den Kopf. ›Das will ich auf keinen Fall‹, sagte er schließlich.

Er wiederholte diesen Satz immer wieder und nahm eine ziemlich drohende Haltung an. Es war eine richtige Persönlichkeitsveränderung.«

»Das ist typisch für Starr«, meinte Toschi. »Er hat zwar mit uns kooperiert, aber sicher nicht freiwillig.«

»Ich habe etwas herausgefunden, das Sie wahrscheinlich noch nicht wissen, Dave. Starr hat einen Vergrößerungsapparat. Ist das nicht interessant? Jetzt haben wir schon zwei Leute mit solchen Geräten, Andrews und Starr.

Sie haben Starr überredet, zu einem Psychiater zu gehen, und das Police Department in Vallejo hat herausgefunden, dass er in der Bibliothek gebüffelt hat, um sich darauf vorzubereiten, wie man solche Tests am besten bewältigt«, berichtete ich dem Inspektor. »Starr hat diese Tests so gelöst, dass er zuerst die Aufgabe studiert und dann den Test im Blitztempo bewältigt hat. Dave, ich habe einen Bericht des Psychiaters gesehen - da stand: ›Er [Starr] war ein Musterbeispiel für Sparsamkeit in den Bewegungen. Er lachte nur, wenn die anderen versuchten, mit der gleichen Leichtigkeit wie er die Aufgaben zu lösen.‹«

Es war offensichtlich, dass Starr die Tests hinter sich brachte, ohne eine Miene zu verziehen, ohne zu lächeln oder irgendeine Emotion zu zeigen. Und wenn er sprach, dann mit leiser monotoner Stimme.

»1978 legten sie Starr einen Rorschachtest vor«, erzählte ich Toschi, »und achteten darauf, wie oft seine Antworteten mit dem Buchstaben Z begannen.

›Die Chancen, dass mehr als eine Antwort mit einem Z beginnt, sind nicht gerade groß‹, teilte der Analytiker der Polizei von Vallejo mit.

Nun, der erste der Tintenkleckse, die man Starr vorlegte, erinnerte ihn an einen ›zygomatic arch‹, einen Jochbogen. Der Analytiker war völlig verblüfft und musste feststellen, dass Starr am Ende fünf Antworten gegeben hatte, die mit Z begannen. Wenn Sie sich erinnern - Stine wurde durch einen Schuss in den Jochbogen getötet.«

Als Toschi in die Pfandleiheabteilung versetzt wurde, drückte Starr gegenüber seinem Parole Officer seine Gefühle aus. Er glaubte, dass Armstrong und Toschi mit ihrem Besuch an seinem Arbeitsplatz schuld daran waren, dass man ihn feuerte. »Jetzt wird Mr. Toschi wissen, wie das ist!«, stieß Starr verbittert hervor.

»Starr arbeitet als Verkäufer in einem Geschäft, aber er hasst es, sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen«, verriet mir sein Parole Officer. »Er wohnt immer noch in einem Kellerraum - nur ist es jetzt der Keller im neuen Haus seiner Mutter in Santa Rosa. Und er hat immer noch Backenhörnchen, die bei ihm zu Hause herumlaufen. Aber ich sage Ihnen eines - der Mann weiß genau, wie er sich verhalten muss.«

 

Mittwoch, 5. März 1980

 

Ich schaltete die Lichter an meinem Wagen aus und hielt unter einer Ulme etwa acht Meter von Starrs Haus entfernt an. Es war halb neun am Abend; die abendliche Luft war ziemlich kühl. Links von Starrs Haus führte eine Einfahrt zur Garage hinauf. Es war nur ein VW zu sehen. Ich fragte mich, wo er seine Wohnwagen, seine Boote und die anderen Autos stehen hatte. Ich blieb mehrere Stunden dort stehen und beobachtete das Fenster über der Veranda. Ich sah ein schattenhaftes Gebilde in dem Raum, das ich für irgendeinen Schrank hielt. Um elf Uhr begann sich der Schatten plötzlich zu bewegen.

Was ich die ganze Zeit gesehen hatte, war Bob Starr.

 

Samstag, 8. März 1980

 

Starr arbeitete in einem Geschäft. Es war so groß, dass es mir machbar erschien, hineinzugehen und mir den Mann näher anzusehen, ohne aufzufallen.

Ich parkte ein paar Blocks entfernt, damit er nicht sehen konnte, was für einen Wagen ich fuhr, oder gar einen Blick auf das Nummernschild erhaschen konnte. Ich nahm meine beiden kleinen Söhne und einen Freund mit. Starr hatte mich noch nie gesehen; ich hingegen wusste von Fotos ganz genau, wie er aussah.

Ich sah ihn schließlich im hinteren Bereich des Geschäfts an einer Kasse stehen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, irgendetwas bei ihm zu kaufen, um eine Handschriftenprobe von ihm zu bekommen - aber der Mann strahlte eine so bedrohliche Kraft aus, dass ich schnell wieder ging. Ich hatte eher einen leicht übergewichtigen, harmlos aussehenden Mann erwartet, den man sich beim besten Willen nicht als Serienmörder vorstellen konnte - aber bei diesem Mann hatte man sofort das Gefühl, dass er gefährlich war. Seine Augen lagen im Schatten seiner buschigen Brauen; er trug immer noch seinen blonden Bürstenschnitt. Der Mann war stämmig gebaut, aber durchaus muskulös, vor allem im Bereich von Hals, Schultern und Armen.

Ich ging mit meinen Jungs auf ein Glas Limonade in einen 7-Eleven-Laden in der Nähe. Mein jüngerer Sohn fand ganz unten in der Flasche als kleine Überraschung einen Ring.

Es war ein Ring mit einem der Symbole des astrologischen Tierkreises, des Zodiac, darauf.

 

Sonntag, 9. März 1980

 

Ich fuhr noch einmal nach Santa Rosa, um mich mit dem Parole Officer zu unterhalten, unter dessen Schutzaufsicht Starr stand. Er wusste über Starrs Aktivitäten seit seiner Haftentlassung Bescheid.

»Wohnt er immer noch bei seiner Mutter?«, fragte ich.

»Ja, ich muss sagen … es ist schon eine seltsame Situation. Ich habe mit ihm über seine Mutter gesprochen. Das ist eines der wichtigsten Themen in der Therapie und in der Art und Weise, wie er mit seinem Leben umgeht.

»Glauben Sie, dass Starr seine Mutter hasst?«, fragte ich.

»Ja, ganz bestimmt. Sie hat über seinen Vater anscheinend immer gesagt: ›Dieser verdammte Mistkerl ist dauernd fort. Er kümmert sich nicht um die Familie und um mich. Die Männer sind doch alle gleich. Nichts als Arschlöcher - einer wie der andere.‹ Und zu ihrem Sohn hat sie gesagt: ›Du bist genau wie alle anderen Männer. Keine Spur anders.‹<

Nachdem er das jahrelang zu hören bekommen hatte, war er nicht mehr imstande, eine normale sexuelle Beziehung mit einer Frau einzugehen. Wenn ihn seine Mutter heute fragt: ›Warum bist du bloß so?‹, dann sagt er darauf: ›Ich bin eben verpfuscht. Und schuld daran bist du. Du hast aus mir das gemacht, was ich heute bin.‹ Und dann hat sie Schuldgefühle, aber sie unternimmt nichts, um ihn an irgendetwas zu hindern, was er tut.

›Bob‹, sagte ich einmal zu ihm, ›man hat Sie im Verdacht, der Zodiac-Killer zu sein.‹

›Ich weiß‹, antwortete er nur.

›Und, was sagen Sie dazu?‹, fragte ich weiter.

›Ich finde das unfair.‹<

›Wirklich?‹<

›Ja.‹<

›Haben Sie die Berichte gelesen?‹

›Ja, ich weiß, was sie da geschrieben haben. Das sind alles Lügen‹, behauptete Starr.

›Na ja, wer würde schon zugeben, dass er der Zodiac ist?‹

Wissen Sie, Robert, ich habe einmal einen sehr wahren Satz über Kinderschänder und geistesgestörte Triebtäter gehört: ›Was einen scharf macht, macht einen nun mal scharf.‹ Und dabei spielt es keine Rolle, ob man einmal für vier Jahre nach Atascadero (Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) wandert, auch wenn sie einem nach der Entlassung sagen, dass man geheilt ist. Man ist vielleicht imstande, den Trieb zu unterdrücken, aber er ist trotzdem noch da.«

 

Dienstag, 11. März 1980

 

In Vallejo erfuhr ich noch etwas mehr über Starr.

1965, also bevor die Mordserie begann und bevor es einen Zodiac gab, ging Starr einmal mit zwei Freunden namens Kenn und Bill (Namen geändert) auf die Jagd. Dabei kam es zu folgendem Gespräch, wie in einem Polizeibericht vom Juli 1971 nachzulesen ist:

»Ich würde lieber Menschen jagen als Tiere«, verriet Starr seinen Freunden. »Menschen sind doch das einzig wahre Wild, weil die Jagd auf sie am gefährlichsten ist. Ich würde sie nachts mit einem elektrischen Visier und einer Taschenlampe jagen.«

»Aber warum willst du so was tun?«, fragte Kenn schockiert.

»Weil ich es will«, antwortete Starr und starrte seinem Gegenüber fest in die Augen. »Und nicht nur das. Ich würde Briefe an die Polizei und die Zeitungen schreiben und ihnen erzählen, was ich tue. Und ich würde mich Zodiac nennen.«

 
 

Ich bekam noch einige andere Geschichten über Starr und sein Leben in Vallejo zu hören. 1973 stand in einem ärztlichen Bericht über ihn, dass er »grundsätzlich zur Gewalt neigt und gefährlich ist« und dass er »fähig wäre, jemanden zu töten.« Der Arzt vermutete, dass Starr »fünf verschiedene Persönlichkeiten« habe. Als Starrs Parole Officers ihn zum ersten Mal zu Hause in Santa Rosa besuchten, hatte er Kinder aus der Nachbarschaft bei sich, die die Beamten mit roten Flaggen zur Einfahrt lotsten. »Ein weiteres Beispiel für seinen etwas seltsamen Humor«, stellte einer der Officers fest.

Starrs körperliche Kraft wurde von einem Jugendfreund bestätigt, der früher als Streifenpolizist tätig gewesen war. Als sie beide noch Teenager waren, fuhr der Freund einmal in San Francisco mit dem Auto an Starr vorbei, der zu Fuß unterwegs war. Da sah er im Rückspiegel fünf Marines, die auf Starr zugingen. »Jetzt gibt es Ärger«, dachte sich der Freund. Aber bevor er umkehren konnte, um Starr zu helfen, flogen schon Leute in alle Richtungen. Der Einzige, der stehen blieb, war Starr. »Ich fuhr zu ihm und fragte ihn, ob mit ihm alles in Ordnung sei und ob ich ihn nach Hause fahren solle«, teilte mir der Mann mit. »Er sagte aber nur, dass er lieber zu Fuß gehe.«

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