The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (20 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Aus meinen Händen wird auch nichts mehr.

Wie verkümmert sie sind: sieh her:

zähe hüpfen sie, feucht und schwer,

wie kleine Kröten nach Regen.

Und das Andre an mir ist

abgetragen und alt und trist;

warum zögert Gott, auf den Mist

alles das hinzulegen.

Ob er mir zürnt für mein Gesicht

mit dem mürrischen Munde?

Es war ja so oft bereit, ganz licht

und klar zu werden im Grunde;

aber nichts kam ihm je so dicht

wie die großen Hunde.

Und die Hunde haben das nicht.

FROM
NEUE GEDICHTE

(1907; 1908)

Notes
DER PANTHER

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

so müd geworden, daß er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf—. Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille—

und hört im Herzen auf zu sein.

DIE GAZELLE

Gazella Dorcas

Verzauberte: wie kann der Einklang zweier

erwählter Worte je den Reim erreichen,

der in dir kommt und geht, wie auf ein Zeichen.

Aus deiner Stirne steigen Laub und Leier,

und alles Deine geht schon im Vergleich

durch Liebeslieder, deren Worte, weich

wie Rosenblätter, dem, der nicht mehr liest,

sich auf die Augen legen, die er schließt:

um dich zu sehen: hingetragen, als

wäre mit Sprüngen jeder Lauf geladen

und schösse nur nicht ab, solang der Hals

das Haupt ins Horchen hält: wie wenn beim Baden

im Wald die Badende sich unterbricht:

den Waldsee im gewendeten Gesicht.

DER SCHWAN

Diese Mühsal, durch noch Ungetanes

schwer und wie gebunden hinzugehn,

gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.

Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen

jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,

seinem ängstlichen Sich-Niederlassen—:

in die Wasser, die ihn sanft empfangen

und die sich, wie glücklich und vergangen,

unter ihm zurückziehn, Flut um Flut;

während er unendlich still und sicher

immer mündiger und königlicher

und gelassener zu ziehn geruht.

DIE ERWACHSENE

Das alles stand auf ihr und war die Welt

und stand auf ihr mit allem, Angst und Gnade,

wie Bäume stehen, wachsend und gerade,

ganz Bild und bildlos wie die Bundeslade

und feierlich, wie auf ein Volk gestellt.

Und sie ertrug es; trug bis obenhin

das Fliegende, Entfliehende, Entfernte,

das Ungeheuere, noch Unerlernte

gelassen wie die Wasserträgerin

den vollen Krug. Bis mitten unterm Spiel,

verwandelnd und auf andres vorbereitend,

der erste weiße Schleier, leise gleitend,

über das aufgetane Antlitz fiel

fast undurchsichtig und sich nie mehr hebend

und irgendwie auf alle Fragen ihr

nur eine Antwort vage wiedergebend:

In dir, du Kindgewesene, in dir.

DIE ERBLINDENDE

Sie saß so wie die anderen beim Tee.

Mir war zuerst, als ob sie ihre Tasse

ein wenig anders als die andern fasse.

Sie lächelte einmal. Es tat fast weh.

Und als man schließlich sich erhob und sprach

und langsam und wie es der Zufall brachte

durch viele Zimmer ging (man sprach und lachte),

da sah ich sie. Sie ging den andern nach,

verhalten, so wie eine, welche gleich

wird singen müssen und vor vielen Leuten;

auf ihren hellen Augen die sich freuten

war Licht von außen wie auf einem Teich.

Sie folgte langsam und sie brauchte lang

als wäre etwas noch nicht überstiegen;

und doch: als ob, nach einem Übergang,

sie nicht mehr gehen würde, sondern fliegen.

VOR DEM SOMMERREGEN

Auf einmal ist aus allem Grün im Park

man weiß nicht was, ein Etwas, fortgenommen;

man fühlt ihn näher an die Fenster kommen

und schweigsam sein. Inständig nur und stark

ertönt aus dem Gehölz der Regenpfeifer,

man denkt an einen Hieronymus:

so sehr steigt irgend Einsamkeit und Eifer

aus dieser einen Stimme, die der Guß

erhören wird. Des Saales Wände sind

mit ihren Bildern von uns fortgetreten,

als dürften sie nicht hören was wir sagen.

Es spiegeln die verblichenen Tapeten

das ungewisse Licht von Nachmittagen,

in denen man sich fürchtete als Kind.

LETZTER ABEND

(Aus dem Besitze Frau Nonnas)

Und Nacht und fernes Fahren; denn der Train

des ganzen Heeres zog am Park vorüber.

Er aber hob den Blick vom Clavecin

und spielte noch und sah zu ihr hinüber

beinah wie man in einen Spiegel schaut:

so sehr erfüllt von seinen jungen Zügen

und wissend, wie sie seine Trauer trügen,

schön und verführender bei jedem Laut.

Doch plötzlich wars, als ob sich das verwische:

sie stand wie mühsam in der Fensternische

und hielt des Herzens drängendes Geklopf.

Sein Spiel gab nach. Von draußen wehte Frische.

Und seltsam fremd stand auf dem Spiegeltische

der schwarze Tschako mit dem Totenkopf.

JUGEND-BILDNIS MEINES VATERS

Im Auge Traum. Die Stirn wie in Berührung

mit etwas Fernem. Um den Mund enorm

viel Jugend, ungelächelte Verführung,

und vor der vollen schmückenden Verschnürung

der schlanken adeligen Uniform

der Säbelkorb und beide Hände—, die

abwarten, ruhig, zu nichts hingedrängt.

Und nun fast nicht mehr sichtbar: als ob sie

zuerst, die Fernes greifenden, verschwänden.

Und alles andre mit sich selbst verhängt

und ausgelöscht als ob wirs nicht verständen

und tief aus seiner eignen Tiefe trüb—.

Du schnell vergehendes Daguerreotyp

in meinen langsamer vergehenden Händen.

SELBSTBILDNIS AUS DEM JAHRE 1906

Des alten lange adligen Geschlechtes

Feststehendes im Augenbogenbau.

Im Blicke noch der Kindheit Angst und Blau

und Demut da und dort, nicht eines Knechtes

doch eines Dienenden und einer Frau.

Der Mund als Mund gemacht, groß und genau,

nicht überredend, aber ein Gerechtes

Aussagendes. Die Stirne ohne Schlechtes

und gern im Schatten stiller Niederschau.

Das, als Zusammenhang, erst nur geahnt;

noch nie im Leiden oder im Gelingen

zusammgefaßt zu dauerndem Durchdringen,

doch so, als wäre mit zerstreuten Dingen

von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant.

SPANISCHE TÄNZERIN

Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,

eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten

zuckende Zungen streckt—: beginnt im Kreis

naher Beschauer hastig, hell und heiß

ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.

Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.

Mit einem Blick entzündet sie ihr Haar

und dreht auf einmal mit gewagter Kunst

ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,

aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,

die nackten Arme wach und klappernd strecken.

Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,

nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab

sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde

und schaut: da liegt es rasend auf der Erde

und flammt noch immer und ergiebt sich nicht—.

Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen

grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht

und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.

HETÄREN-GRÄBER

In ihren langen Haaren liegen sie

mit braunen, tief in sich gegangenen Gesichtern.

Die Augen zu wie vor zu vieler Ferne.

Skelette, Munde, Blumen. In den Munden

die glatten Zähne wie ein Reise-Schachspiel

aus Elfenbein in Reihen aufgestellt.

Und Blumen, gelbe Perlen, schlanke Knochen,

Hände und Hemden, welkende Gewebe

über dem eingestürzten Herzen. Aber

dort unter jenen Ringen, Talismanen

und augenblauen Steinen (Lieblings-Angedenken)

steht noch die stille Krypta des Geschlechtes,

bis an die Wölbung voll mit Blumenblättern.

Und wieder gelbe Perlen, weitverrollte,—

Schalen gebrannten Tones, deren Bug

ihr eignes Bild geziert hat, grüne Scherben

von Salben-Vasen, die wie Blumen duften,

und Formen kleiner Götter: Hausaltäre,

Hetärenhimmel mit entzückten Göttern.

Gesprengte Gürtel, flache Skarabäen,

kleine Figuren riesigen Geschlechtes,

ein Mund der lacht und Tanzende und Läufer,

goldene Fibeln, kleinen Bogen ähnlich

zur Jagd auf Tier- und Vogelamulette,

und lange Nadeln, zieres Hausgeräte

und eine runde Scherbe roten Grundes,

darauf, wie eines Eingangs schwarze Aufschrift,

die straffen Beine eines Viergespannes.

Und wieder Blumen, Perlen, die verrollt sind,

die hellen Lenden einer kleinen Leier,

und zwischen Schleiern, die gleich Nebeln fallen,

wie ausgekrochen aus des Schuhes Puppe:

des Fußgelenkes leichter Schmetterling.

So liegen sie mit Dingen angefüllt,

kostbaren Dingen, Steinen, Spielzeug, Hausrat,

zerschlagnem Tand (was alles in sie abfiel),

und dunkeln wie der Grund von einem Fluß.

Flußbetten waren sie,

darüber hin in kurzen schnellen Wellen

(die weiter wollten zu dem nächsten Leben)

die Leiber vieler Jünglinge sich stürzten

und in denen der Männer Ströme rauschten.

Und manchmal brachen Knaben aus den Bergen

der Kindheit, kamen zagen Falles nieder

und spielten mit den Dingen auf dem Grunde,

bis das Gefälle ihr Gefühl ergriff:

Dann füllten sie mit flachem klaren Wasser

die ganze Breite dieses breiten Weges

und trieben Wirbel an den tiefen Stellen;

und spiegelten zum ersten Mal die Ufer

und ferne Vogelrufe—, während hoch

die Sternennächte eines süßen Landes

in Himmel wuchsen, die sich nirgends schlossen.

ORPHEUS. EURYDIKE. HERMES

Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.

Wie stille Silbererze gingen sie

als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln

entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen,

und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel.

Sonst war nichts Rotes.

Felsen waren da

und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres

und jener große graue blinde Teich,

der über seinem fernen Grunde hing

wie Regenhimmel über einer Landschaft.

Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut,

erschien des einen Weges blasser Streifen,

wie eine lange Bleiche hingelegt.

Und dieses einen Weges kamen sie.

Voran der schlanke Mann im blauen Mantel,

der stumm und ungeduldig vor sich aussah.

Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg

in großen Bissen; seine Hände hingen

schwer und verschlossen aus dem Fall der Falten

und wußten nicht mehr von der leichten Leier,

die in die Linke eingewachsen war

wie Rosenranken in den Ast des Ölbaums.

Und seine Sinne waren wie entzweit:

indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief,

umkehrte, kam und immer wieder weit

und wartend an der nächsten Wendung stand,—

blieb sein Gehör wie ein Geruch zurück.

Manchmal erschien es ihm als reichte es

bis an das Gehen jener beiden andern,

die folgen sollten diesen ganzen Aufstieg.

Dann wieder wars nur seines Steigens Nachklang

und seines Mantels Wind was hinter ihm war.

Er aber sagte sich, sie kämen doch;

sagte es laut und hörte sich verhallen.

Sie kämen doch, nur wärens zwei

die furchtbar leise gingen. Dürfte er

sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun

nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes,

das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen,

die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn:

Den Gott des Ganges und der weiten Botschaft,

die Reisehaube über hellen Augen,

den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe

und flügelschlagend an den Fußgelenken;

und seiner linken Hand gegeben:
sie.

Die So-geliebte, daß aus einer Leier

mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;

daß eine Welt aus Klage ward, in der

alles noch einmal da war: Wald und Tal

und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;

und daß um diese Klage-Welt, ganz so

wie um die andre Erde, eine Sonne

und ein gestirnter stiller Himmel ging,

ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen—:

Diese So-geliebte.

Sie aber ging an jenes Gottes Hand,

den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,

unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

Sie war in sich, wie Eine hoher Hoffnung,

und dachte nicht des Mannes, der voranging,

und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg.

Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein

erfüllte sie wie Fülle.

Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel,

so war sie voll von ihrem großen Tode,

der also neu war, daß sie nichts begriff.

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