The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (21 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Sie war in einem neuen Mädchentum

und unberührbar; ihr Geschlecht war zu

wie eine junge Blume gegen Abend,

und ihre Hände waren der Vermählung

so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes

unendlich leise, leitende Berührung

sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit.

Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,

die in des Dichters Liedern manchmal anklang,

nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland

und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.

Sie war schon aufgelöst wie langes Haar

und hingegeben wie gefallner Regen

und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.

Sie war schon Wurzel.

Und als plötzlich jäh

der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf

die Worte sprach: Er hat sich umgewendet—,

begriff sie nichts und sagte leise:
Wer?

Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,

stand irgend jemand, dessen Angesicht

nicht zu erkennen war. Er stand und sah,

wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades

mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft

sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,

die schon zurückging dieses selben Weges,

den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,

unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

ALKESTIS

Da plötzlich war der Bote unter ihnen,

hineingeworfen in das Überkochen

des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz.

Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes

heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit

so an sich hielt wie einen nassen Mantel

und ihrer einer schien, der oder jener,

wie er so durchging. Aber plötzlich sah

mitten im Sprechen einer von den Gästen

den jungen Hausherrn oben an dem Tische

wie in die Höh gerissen, nicht mehr liegend,

und überall und mit dem ganzen Wesen

ein Fremdes spiegelnd, das ihn furchtbar ansprach.

Und gleich darauf, als klärte sich die Mischung,

war Stille; nur mit einem Satz am Boden

von trübem Lärm und einem Niederschlag

fallenden Lallens, schon verdorben riechend

nach dumpfem umgestandenen Gelächter.

Und da erkannten sie den schlanken Gott,

und wie er dastand, innerlich voll Sendung

und unerbittlich,—wußten sie es beinah.

Und doch, als es gesagt war, war es mehr

als alles Wissen, gar nicht zu begreifen.

Admet muß sterben. Wann? In dieser Stunde.

Der aber brach die Schale seines Schreckens

in Stücken ab und streckte seine Hände

heraus aus ihr, um mit dem Gott zu handeln.

Um Jahre, um ein einzig Jahr noch Jugend,

um Monate, um Wochen, um paar Tage,

ach, Tage nicht, um Nächte, nur um Eine,

um Eine Nacht, um diese nur: um die.

Der Gott verneinte, und da schrie er auf

und schrie’s hinaus und hielt es nicht und schrie

wie seine Mutter aufschrie beim Gebären.

Und die trat zu ihm, eine alte Frau,

und auch der Vater kam, der alte Vater,

und beide standen, alt, veraltet, ratlos,

beim Schreienden, der plötzlich, wie noch nie

so nah, sie ansah, abbrach, schluckte, sagte:

Vater,

liegt dir denn viel daran an diesem Rest,

an diesem Satz, der dich beim Schlingen hindert?

Geh, gieß ihn weg. Und du, du alte Frau,

Matrone,

was tust du denn noch hier: du hast geboren.

Und beide hielt er sie wie Opfertiere

in Einem Griff. Auf einmal ließ er los

und stieß die Alten fort, voll Einfall, strahlend

und atemholend, rufend: Kreon, Kreon!

Und nichts als das; und nichts als diesen Namen.

Aber in seinem Antlitz stand das Andere,

das er nicht sagte, namenlos erwartend,

wie ers dem jungen Freunde, dem Geliebten,

erglühend hinhielt übern wirren Tisch.

Die Alten (stand da), siehst du, sind kein Loskauf,

sie sind verbraucht und schlecht und beinah wertlos,

du aber, du, in deiner ganzen Schönheit—

Da aber sah er seinen Freund nicht mehr.

Er blieb zurück, und das, was kam, war
sie
,

ein wenig kleiner fast als er sie kannte

und leicht und traurig in dem bleichen Brautkleid.

Die andern alle sind nur ihre Gasse,

durch die sie kommt und kommt—: (gleich wird sie da sein

in seinen Armen, die sich schmerzhaft auftun).

Doch wie er wartet, spricht sie; nicht zu ihm.

Sie spricht zum Gotte, und der Gott vernimmt sie,

und alle hörens gleichsam erst im Gotte:

Ersatz kann keiner für ihn sein. Ich
bins.

Ich bin Ersatz. Denn keiner ist zu Ende

wie ich es bin. Was bleibt mir denn von dem

was ich hier war? Das
ists
ja, daß ich sterbe.

Hat sie dirs nicht gesagt, da sie dirs auftrug,

daß jenes Lager, das da drinnen wartet,

zur Unterwelt gehört? Ich nahm ja Abschied.

Abschied über Abschied.

Kein Sterbender nimmt mehr davon. Ich ging ja,

damit das Alles, unter Dem begraben

der jetzt mein Gatte ist, zergeht, sich auflöst—.

So führ mich hin: ich sterbe ja für ihn.

Und wie der Wind auf hoher See, der umspringt,

so trat der Gott fast wie zu einer Toten

und war auf einmal weit von ihrem Gatten,

dem er, versteckt in einem kleinen Zeichen,

die hundert Leben dieser Erde zuwarf.

Der stürzte taumelnd zu den beiden hin

und griff nach ihnen wie im Traum. Sie gingen

schon auf den Eingang zu, in dem die Frauen

verweint sich drängten. Aber einmal sah

er noch des Mädchens Antlitz, das sich wandte

mit einem Lächeln, hell wie eine Hoffnung,

die beinah ein Versprechen war: erwachsen

zurückzukommen aus dem tiefen Tode

zu ihm, dem Lebenden—

Da schlug er jäh

die Hände vors Gesicht, wie er so kniete,

um nichts zu sehen mehr nach diesem Lächeln.

ARCHAÏSCHER TORSO APOLLOS

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,

darin die Augenäpfel reiften. Aber

sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,

in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug

der Brust dich blenden, und im leisen Drehen

der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen

zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz

unter der Schultern durchsichtigem Sturz

und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern

aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,

die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

LEICHEN-WÄSCHE

Sie hatten sich an ihn gewöhnt. Doch als

die Küchenlampe kam und unruhig brannte

im dunkeln Luftzug, war der Unbekannte

ganz unbekannt. Sie wuschen seinen Hals,

und da sie nichts von seinem Schicksal wußten,

so logen sie ein anderes zusamm,

fortwährend waschend. Eine mußte husten

und ließ solang den schweren Essigschwamm

auf dem Gesicht. Da gab es eine Pause

auch für die zweite. Aus der harten Bürste

klopften die Tropfen; während seine grause

gekrampfte Hand dem ganzen Hause

beweisen wollte, daß ihn nicht mehr dürste.

Und er bewies. Sie nahmen wie betreten

eiliger jetzt mit einem kurzen Huster

die Arbeit auf, so daß an den Tapeten

ihr krummer Schatten in dem stummen Muster

sich wand und wälzte wie in einem Netze,

bis daß die Waschenden zu Ende kamen.

Die Nacht im vorhanglosen Fensterrahmen

war rücksichtslos. Und einer ohne Namen

lag bar und reinlich da und gab Gesetze.

SCHWARZE KATZE

Ein Gespenst ist noch wie eine Stelle,

dran dein Blick mit einem Klange stößt;

aber da, an diesem schwarzen Felle

wird dein stärkstes Schauen aufgelöst:

wie ein Tobender, wenn er in vollster

Raserei ins Schwarze stampft,

jählings am benehmenden Gepolster

einer Zelle aufhört und verdampft.

Alle Blicke, die sie jemals trafen,

scheint sie also an sich zu verhehlen,

um darüber drohend und verdrossen

zuzuschauern und damit zu schlafen.

Doch auf einmal kehrt sie, wie geweckt,

ihr Gesicht und mitten in das deine:

und da triffst du deinen Blick im geelen

Amber ihrer runden Augensteine

unerwartet wieder: eingeschlossen

wie ein ausgestorbenes Insekt.

DIE FLAMINGOS

Jardin des Plantes, Paris

In Spiegelbildern wie von Fragonard

ist doch von ihrem Weiß und ihrer Röte

nicht mehr gegeben, als dir einer böte,

wenn er von seiner Freundin sagt: sie war

noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne

und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht,

beisammen, blühend, wie in einem Beet,

verführen sie verführender als Phryne

sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche

hinhalsend bergen in der eignen Weiche,

in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt.

Auf einmal kreischt ein Neid durch die Volière;

sie aber haben sich erstaunt gestreckt

und schreiten einzeln ins Imaginäre.

BUDDHA IN DER GLORIE

Mitte aller Mitten, Kern der Kerne,

Mandel, die sich einschließt und versüßt,—

dieses Alles bis an alle Sterne

ist dein Fruchtfleisch: Sei gegrüßt.

Sieh, du fühlst, wie nichts mehr an dir hängt;

im Unendlichen ist deine Schale,

und dort steht der starke Saft und drängt.

Und von außen hilft ihm ein Gestrahle,

denn ganz oben werden deine Sonnen

voll und glühend umgedreht.

Doch in dir ist schon begonnen,

was die Sonnen übersteht.

FROM
REQUIEM
[German]

(1909)

Notes
REQUIEM FÜR EINE FREUNDIN

Ich habe Tote, und ich ließ sie hin

und war erstaunt, sie so getrost zu sehn,

so rasch zuhaus im Totsein, so gerecht,

so anders als ihr Ruf. Nur du, du kehrst

zurück; du streifst mich, du gehst um, du willst

an etwas stoßen, daß es klingt von dir

und dich verrät. O nimm mir nicht, was ich

langsam erlern. Ich habe recht; du irrst

wenn du gerührt zu irgend einem Ding

ein Heimweh hast. Wir wandeln dieses um;

es ist nicht hier, wir spiegeln es herein

aus unserm Sein, sobald wir es erkennen.

    Ich glaubte dich viel weiter. Mich verwirrts,

daß
du
gerade irrst und kommst, die mehr

verwandelt hat als irgend eine Frau.

Daß wir erschraken, da du starbst, nein, daß

dein starker Tod uns dunkel unterbrach,

das Bisdahin abreißend vom Seither:

das geht uns an; das einzuordnen wird

die Arbeit sein, die wir mit allem tun.

Doch daß du selbst erschrakst und auch noch jetzt

den Schrecken hast, wo Schrecken nicht mehr gilt;

daß du von deiner Ewigkeit ein Stück

verlierst und hier hereintrittst, Freundin, hier,

wo alles noch nicht
ist
; daß du zerstreut,

zum ersten Mal im All zerstreut und halb,

den Aufgang der unendlichen Naturen

nicht so ergriffst wie hier ein jedes Ding;

daß aus dem Kreislauf, der dich schon empfing,

die stumme Schwerkraft irgend einer Unruh

dich niederzieht zur abgezählten Zeit—:

dies weckt mich nachts oft wie ein Dieb, der einbricht.

Und dürft ich sagen, daß du nur geruhst,

daß du aus Großmut kommst, aus Überfülle,

weil du so sicher bist, so in dir selbst,

daß du herumgehst wie ein Kind, nicht bange

vor Örtern, wo man einem etwas tut—:

doch nein: du bittest. Dieses geht mir so

bis ins Gebein und querrt wie eine Säge.

Ein Vorwurf, den du trügest als Gespenst,

nachtrügest mir, wenn ich mich nachts zurückzieh

in meine Lunge, in die Eingeweide,

in meines Herzens letzte ärmste Kammer,—

ein solcher Vorwurf wäre nicht so grausam,

wie dieses Bitten ist. Was bittest du?

    Sag, soll ich reisen? Hast du irgendwo

ein Ding zurückgelassen, das sich quält

und das dir nachwill? Soll ich in ein Land,

das du nicht sahst, obwohl es dir verwandt

war wie die andre Hälfte deiner Sinne?

    Ich will auf seinen Flüssen fahren, will

an Land gehn und nach alten Sitten fragen,

will mit den Frauen in den Türen sprechen

und zusehn, wenn sie ihre Kinder rufen.

Ich will mir merken, wie sie dort die Landschaft

umnehmen draußen bei der alten Arbeit

der Wiesen und der Felder; will begehren,

vor ihren König hingeführt zu sein,

und will die Priester durch Bestechung reizen,

daß sie mich legen vor das stärkste Standbild

und fortgehn und die Tempeltore schließen.

Dann aber will ich, wenn ich vieles weiß,

einfach die Tiere anschaun, daß ein Etwas

von ihrer Wendung mir in die Gelenke

herübergleitet; will ein kurzes Dasein

in ihren Augen haben, die mich halten

und langsam lassen, ruhig, ohne Urteil.

Ich will mir von den Gärtnern viele Blumen

hersagen lassen, daß ich in den Scherben

der schönen Eigennamen einen Rest

herüberbringe von den hundert Düften.

Und Früchte will ich kaufen, Früchte, drin

das Land noch einmal ist, bis an den Himmel.

    Denn Das verstandest du: die vollen Früchte.

Die legtest du auf Schalen vor dich hin

und wogst mit Farben ihre Schwere auf.

Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun

und sahst die Kinder so, von innen her

getrieben in die Formen ihres Daseins.

Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht,

nahmst dich heraus aus deinen Kleidern, trugst

dich vor den Spiegel, ließest dich hinein

bis auf dein Schauen; das blieb groß davor

und sagte nicht: das bin ich; nein: dies ist.

So ohne Neugier war zuletzt dein Schaun

und so besitzlos, von so wahrer Armut,

daß es dich selbst nicht mehr begehrte: heilig.

    So will ich dich behalten, wie du dich

hinstelltest in den Spiegel, tief hinein

und fort von allem. Warum kommst du anders?

Was widerrufst du dich? Was willst du mir

einreden, daß in jenen Bernsteinkugeln

um deinen Hals noch etwas Schwere war

von jener Schwere, wie sie nie im Jenseits

beruhigter Bilder ist; was zeigst du mir

in deiner Haltung eine böse Ahnung;

was heißt dich die Konturen deines Leibes

auslegen wie die Linien einer Hand,

daß ich sie nicht mehr sehn kann ohne Schicksal?

    Komm her ins Kerzenlicht. Ich bin nicht bang,

die Toten anzuschauen. Wenn sie kommen,

so haben sie ein Recht, in unserm Blick

sich aufzuhalten, wie die andern Dinge.

    Komm her; wir wollen eine Weile still sein.

Sieh diese Rose an auf meinem Schreibtisch;

ist nicht das Licht um sie genau so zaghaft

wie über dir: sie dürfte auch nicht hier sein.

Im Garten draußen, unvermischt mit mir,

hätte sie bleiben müssen oder hingehn,—

nun währt sie so: was ist ihr mein Bewußtsein?

    
Erschrick nicht, wenn ich jetzt begreife, ach,

da steigt es in mir auf: ich kann nicht anders,

ich muß begreifen, und wenn ich dran stürbe.

Begreifen, daß du hier bist. Ich begreife.

Ganz wie ein Blinder rings ein Ding begreift,

fühl ich dein Los und weiß ihm keinen Namen.

Laß uns zusammen klagen, daß dich einer

aus deinem Spiegel nahm. Kannst du noch weinen?

Du kannst nicht. Deiner Tränen Kraft und Andrang

hast du verwandelt in dein reifes Anschaun

und warst dabei, jeglichen Saft in dir

so umzusetzen in ein starkes Dasein,

das steigt und kreist, im Gleichgewicht und blindlings.

Da riß ein Zufall dich, dein letzter Zufall

riß dich zurück aus deinem fernsten Fortschritt

in eine Welt zurück, wo Säfte
wollen.

Riß dich nicht ganz; riß nur ein Stück zuerst,

doch als um dieses Stück von Tag zu Tag

die Wirklichkeit so zunahm, daß es schwer ward,

da brauchtest du dich ganz: da gingst du hin

und brachst in Brocken dich aus dem Gesetz

mühsam heraus, weil du dich brauchtest. Da

trugst du dich ab und grubst aus deines Herzens

nachtwarmem Erdreich die noch grünen Samen,

daraus dein Tod aufkeimen sollte: deiner,

dein eigner Tod zu deinem eignen Leben.

Und aßest sie, die Körner deines Todes,

wie alle andern, aßest seine Körner,

und hattest Nachgeschmack in dir von Süße,

die du nicht meintest, hattest süße Lippen,

du: die schon innen in den Sinnen süß war.

    O laß uns klagen. Weißt du, wie dein Blut

aus einem Kreisen ohnegleichen zögernd

und ungern wiederkam, da du es abriefst?

Wie es verwirrt des Leibes kleinen Kreislauf

noch einmal aufnahm; wie es voller Mißtraun

und Staunen eintrat in den Mutterkuchen

und von dem weiten Rückweg plötzlich müd war.

Du triebst es an, du stießest es nach vorn,

du zerrtest es zur Feuerstelle, wie

man eine Herde Tiere zerrt zum Opfer;

und wolltest noch, es sollte dabei froh sein.

Und du erzwangst es schließlich: es war froh

und lief herbei und gab sich hin. Dir schien,

weil du gewohnt warst an die andern Maße,

es wäre nur für eine Weile; aber

nun warst du in der Zeit, und Zeit ist lang.

Und Zeit geht hin, und Zeit nimmt zu, und Zeit

ist wie ein Rückfall einer langen Krankheit.

    Wie war dein Leben kurz, wenn du’s vergleichst

mit jenen Stunden, da du saßest und

die vielen Kräfte deiner vielen Zukunft

schweigend herabbogst zu dem neuen Kindkeim,

der wieder Schicksal war. O wehe Arbeit.

O Arbeit über alle Kraft. Du tatest

sie Tag für Tag, du schlepptest dich zu ihr

und zogst den schönen Einschlag aus dem Webstuhl

und brauchtest alle deine Fäden anders.

Und endlich hattest du noch Mut zum Fest.

    Denn da’s getan war, wolltest du belohnt sein,

wie Kinder, wenn sie bittersüßen Tee

getrunken haben, der vielleicht gesund macht.

So lohntest du dich: denn von jedem andern

warst du zu weit, auch jetzt noch; keiner hätte

ausdenken können, welcher Lohn dir wohltut.

Du wußtest es. Du saßest auf im Kindbett,

und vor dir stand ein Spiegel, der dir alles

ganz wiedergab. Nun war das alles
Du

und ganz
davor
, und drinnen war nur Täuschung,

die schöne Täuschung jeder Frau, die gern

Schmuck umnimmt und das Haar kämmt und verändert.

    So starbst du, wie die Frauen früher starben,

altmodisch starbst du in dem warmen Hause

den Tod der Wöchnerinnen, welche wieder

sich schließen wollen und es nicht mehr können,

weil jenes Dunkel, das sie mitgebaren,

noch einmal wiederkommt und drängt und eintritt.

Ob man nicht dennoch hätte Klagefrauen

auftreiben müssen? Weiber, welche weinen

für Geld, und die man so bezahlen kann,

daß sie die Nacht durch heulen, wenn es still wird.

Gebräuche her! wir haben nicht genug

Gebräuche. Alles geht und wird verredet.

So mußt du kommen, tot, und hier mit mir

Klagen nachholen. Hörst du, daß ich klage?

Ich möchte meine Stimme wie ein Tuch

hinwerfen über deines Todes Scherben

und zerrn an ihr, bis sie in Fetzen geht,

und alles, was ich sage, müßte so

zerlumpt in dieser Stimme gehn und frieren;

blieb es beim Klagen. Doch jetzt klag ich an:

den Einen nicht, der dich aus dir zurückzog,

(ich find ihn nicht heraus, er ist wie alle)

doch alle klag ich in ihm an: den Mann.

    Wenn irgendwo ein Kindgewesensein

tief in mir aufsteigt, das ich noch nicht kenne,

vielleicht das reinste Kindsein meiner Kindheit:

ich wills nicht wissen. Einen Engel will

ich daraus bilden ohne hinzusehn

und will ihn werfen in die erste Reihe

schreiender Engel, welche Gott erinnern.

    Denn dieses Leiden dauert schon zu lang,

und keiner kanns; es ist zu schwer für uns,

das wirre Leiden von der falschen Liebe,

die, bauend auf Verjährung wie Gewohnheit,

ein Recht sich nennt und wuchert aus dem Unrecht.

Wo ist ein Mann, der Recht hat auf Besitz?

Wer kann besitzen, was sich selbst nicht hält,

was sich von Zeit zu Zeit nur selig auffängt

und wieder hinwirft wie ein Kind den Ball.

Sowenig wie der Feldherr eine Nike

festhalten kann am Vorderbug des Schiffes,

wenn das geheime Leichtsein ihrer Gottheit

sie plötzlich weghebt in den hellen Meerwind:

so wenig kann einer von uns die Frau

anrufen, die uns nicht mehr sieht und die

auf einem schmalen Streifen ihres Daseins

wie durch ein Wunder fortgeht, ohne Unfall:

er hätte denn Beruf und Lust zur Schuld.

    Denn
das
ist Schuld, wenn irgendeines Schuld ist:

die Freiheit eines Lieben nicht vermehren

um alle Freiheit, die man in sich aufbringt.

Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:

einander lassen; denn daß wir uns halten,

das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.

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