The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (27 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,

wo die Modistin, Madame Lamort,

die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,

schlingt und windet und neue aus ihnen

Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Frücht—, alle

unwahr gefärbt,—für die billigen

Winterhüte des Schicksals.

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten,

auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die’s hier

bis zum Können nie bringen, ihre kühnen

hohen Figuren des Herzschwungs,

ihre Türme aus Lust, ihre

längst, wo Boden nie war, nur an einander

lehnenden Leitern, bebend,—und
könntens
,

vor den Zuschauern rings, unzähligen lautlosen Toten:

    Würfen die dann ihre letzten, immer ersparten,

immer verborgenen, die wir nicht kennen, ewig

gültigen Münzen des Glücks vor das endlich

wahrhaft lächelnde Paar auf gestilltem

Teppich?

DIE SECHSTE ELEGIE

Feigenbaum, seit wie lange schon ists mir bedeutend,

wie du die Blüte beinah ganz überschlägst

und hinein in die zeitig entschlossene Frucht,

ungerühmt, drängst dein reines Geheimnis.

Wie der Fontäne Rohr treibt dein gebognes Gezweig

abwärts den Saft und hinan: und er springt aus dem Schlaf,

fast nicht erwachend, ins Glück seiner süßesten Leistung.

Sieh: wie der Gott in den Schwan.

                         …… Wir aber verweilen,

ach, uns rühmt es zu blühn, und ins verspätete Innre

unserer endlichen Frucht gehn wir verraten hinein.

Wenigen steigt so stark der Andrang des Handelns,

daß sie schon anstehn und glühn in der Fülle des Herzens,

wenn die Verführung zum Blühn wie gelinderte Nachtluft

ihnen die Jugend des Munds, ihnen die Lider berührt:

Helden vielleicht und den frühe Hinüberbestimmten,

denen der gärtnernde Tod anders die Adern verbiegt.

Diese stürzen dahin: dem eigenen Lächeln

sind sie voran, wie das Rossegespann in den milden

muldigen Bildern von Karnak dem siegenden König.

Wunderlich nah ist der Held doch den jugendlich Toten. Dauern

ficht ihn nicht an. Sein Aufgang ist Dasein; beständig

nimmt er sich fort und tritt ins veränderte Sternbild

seiner steten Gefahr. Dort fänden ihn wenige. Aber,

das uns finster verschweigt, das plötzlich begeisterte Schicksal

singt ihn hinein in den Sturm seiner aufrauschenden Welt.

Hör ich doch keinen wie
ihn.
Auf einmal durchgeht mich

mit der strömenden Luft sein verdunkelter Ton.

Dann, wie verbärg ich mich gern vor der Sehnsucht: O wär ich,

wär ich ein Knabe und dürft es noch werden und säße

in die künftigen Arme gestützt und läse von Simson,

wie seine Mutter erst nichts und dann alles gebar.

War er nicht Held schon in dir, o Mutter, begann nicht

dort schon, in dir, seine herrische Auswahl?

Tausende brauten im Schooß und wollten
er
sein,

aber sieh: er ergriff und ließ aus—, wählte und konnte.

Und wenn er Säulen zerstieß, so wars, da er ausbrach

aus der Welt deines Leibs in die engere Welt, wo er weiter

wählte und konnte. O Mütter der Helden, o Ursprung

reißender Ströme! Ihr Schluchten, in die sich

hoch von dem Herzrand, klagend,

schon die Mädchen gestürzt, künftig die Opfer dem Sohn.

    Denn hinstürmte der Held durch Aufenthalte der Liebe,

jeder hob ihn hinaus, jeder ihn meinende Herzschlag,

abgewendet schon, stand er am Ende der Lächeln,—anders.

DIE SIEBENTE ELEGIE

Werbung nicht mehr, nicht Werbung, entwachsene Stimme,

sei deines Schreies Natur; zwar schrieest du rein wie der Vogel,

wenn ihn die Jahreszeit aufhebt, die steigende, beinah vergessend,

daß er ein kümmerndes Tier und nicht nur ein einzelnes Herz sei,

das sie ins Heitere wirft, in die innigen Himmel. Wie er, so

würbest du wohl, nicht minder—, daß, noch unsichtbar,

dich die Freundin erführ, die stille, in der eine Antwort

langsam erwacht und über dem Hören sich anwärmt,—

deinem erkühnten Gefühl die erglühte Gefühlin.

O und der Frühling begriffe—, da ist keine Stelle,

die nicht trüge den Ton der Verkündigung. Erst jenen kleinen

fragenden Auflaut, den, mit steigernder Stille,

weithin umschweigt ein reiner bejahender Tag.

Dann die Stufen hinan, Ruf-Stufen hinan, zum geträumten

Tempel der Zukunft—; dann den Triller, Fontäne,

die zu dem drängenden Strahl schon das Fallen zuvornimmt

im versprechlichen Spiel.… Und vor sich, den Sommer.

    Nicht nur die Morgen alle des Sommers—, nicht nur

wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.

Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,

um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.

Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,

nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,

nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,

nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends …

sondern die Nächte! Sondern die hohen, des Sommers,

Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.

O einst tot sein und sie wissen unendlich,

alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!

Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht
sie
nur

käme … Es kämen aus schwächlichen Gräbern

Mädchen und ständen … Denn, wie beschränk ich,

wie, den gerufenen Ruf? Die Versunkenen suchen

immer noch Erde.—Ihr Kinder, ein hiesig

einmal ergriffenes Ding gälte für viele.

Glaubt nicht, Schicksal sei mehr, als das Dichte der Kindheit;

wie überholtet ihr oft den Geliebten, atmend,

atmend nach seligem Lauf, auf nichts zu, ins Freie.

Hiersein ist herrlich. Ihr wußtet es, Mädchen,
ihr
auch,

die ihr scheinbar entbehrtet, versankt—, ihr, in den ärgsten

Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall

Offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht

ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum

Meßliches zwischen zwei Weilen—, da sie ein Dasein

hatte. Alles. Die Adern voll Dasein.

Nur, wir vergessen so leicht, was der lachende Nachbar

uns nicht bestätigt oder beneidet. Sichtbar

wollen wirs heben, wo doch das sichtbarste Glück uns

erst zu erkennen sich giebt, wenn wir es innen verwandeln.

Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Unser

Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer

schwindet das Außen. Wo einmal ein dauerndes Haus war,

schlägt sich erdachtes Gebild vor, quer, zu Erdenklichem

völlig gehörig, als ständ es noch ganz im Gehirne.

Weite Speicher der Kraft schafft sich der Zeitgeist, gestaltlos

wie der spannende Drang, den er aus allem gewinnt.

Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens, Verschwendung

sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht,

ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes—,

hält es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin.

Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil,

daß sie’s nun
innerlich
baun, mit Pfeilern und Statuen, größer!

Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte,

denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört.

Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen.
Uns
soll

dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung

der noch erkannten Gestalt.—Dies
stand
einmal unter Menschen,

mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten

im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog

Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel,

dir
noch zeig ich es,
da!
in deinem Anschaun

steh es gerettet zuletzt, nun endlich aufrecht.

Säulen, Pylone, der Sphinx, das strebende Stemmen,

grau aus vergehender Stadt oder aus fremder, des Doms.

War es nicht Wunder? O staune, Engel, denn
wir
sinds,

wir, o du Großer, erzähls, daß wir solches vermochten, mein Atem

reicht für die Rühmung nicht aus. So haben wir dennoch

nicht die Räume versäumt, diese gewährenden, diese

unseren
Räume. (Was müssen sie fürchterlich groß sein,

da sie Jahrtausende nicht unseres Fühlns überfülln.)

Aber ein Turm war groß, nicht wahr? O Engel, er war es,—

groß, auch noch neben dir? Chartres war groß—, und Musik

reichte noch weiter hinan und überstieg uns. Doch selbst nur

eine Liebende—, oh, allein am nächtlichen Fenster.…

reichte sie dir nicht ans Knie—?

                         Glaub
nicht
, daß ich werbe.

Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht. Denn mein

Anruf ist immer voll Hinweg; wider so starke

Strömung kannst du nicht schreiten. Wie ein gestreckter

Arm ist mein Rufen. Und seine zum Greifen

oben offene Hand bleibt vor dir

offen, wie Abwehr und Warnung,

Unfaßlicher, weitauf.

DIE ACHTE ELEGIE

Rudolf Kassner zugeeignet

Mit allen Augen sieht die Kreatur

das Offene. Nur unsre Augen sind

wie umgekehrt und ganz um sie gestellt

als Fallen, rings um ihren freien Ausgang.

Was draußen
ist
, wir wissens aus des Tiers

Antlitz allein; denn schon das frühe Kind

wenden wir um und zwingens, daß es rückwärts

Gestaltung sehe, nicht das Offne, das

im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod.

Ihn
sehen wir allein; das freie Tier

hat seinen Untergang stets hinter sich

und vor sich Gott, und wenn es geht, so gehts

in Ewigkeit, so wie die Brunnen gehen.

    
Wir
haben nie, nicht einen einzigen Tag,

den reinen Raum vor uns, in den die Blumen

unendlich aufgehn. Immer ist es Welt

und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine,

Unüberwachte, das man atmet und

unendlich
weiß
und nicht begehrt. Als Kind

verliert sich eins im Stilln an dies und wird

gerüttelt. Oder jener stirbt und
ists.

Denn nah am Tod sieht man den Tod nicht mehr

und starrt
hinaus
, vielleicht mit großem Tierblick.

Liebende, wäre nicht der andre, der

die Sicht verstellt, sind nah daran und staunen …

Wie aus Versehn ist ihnen aufgetan

hinter dem andern … Aber über ihn

kommt keiner fort, und wieder wird ihm Welt.

Der Schöpfung immer zugewendet, sehn

wir nur auf ihr die Spiegelung des Frein,

von uns verdunkelt. Oder daß ein Tier,

ein stummes, aufschaut, ruhig durch uns durch.

Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein

und nichts als das und immer gegenüber.

Wäre Bewußtheit unsrer Art in dem

sicheren Tier, das uns entgegenzieht

in anderer Richtung—, riß es uns herum

mit seinem Wandel. Doch sein Sein ist ihm

unendlich, ungefaßt und ohne Blick

auf seinen Zustand, rein, so wie sein Ausblick.

Und wo wir Zukunft sehn, dort sieht es Alles

und sich in Allem und geheilt für immer.

Und doch ist in dem wachsam warmen Tier

Gewicht und Sorge einer großen Schwermut.

Denn ihm auch haftet immer an, was uns

oft überwältigt,—die Erinnerung,

als sei schon einmal das, wonach man drängt,

näher gewesen, treuer und sein Anschluß

unendlich zärtlich. Hier ist alles Abstand,

und dort wars Atem. Nach der ersten Heimat

ist ihm die zweite zwitterig und windig.

    O Seligkeit der
kleinen
Kreatur,

die immer
bleibt
im Schooße, der sie austrug;

o Glück der Mücke, die noch
innen
hüpft,

selbst wenn sie Hochzeit hat: denn Schooß ist Alles.

Und sieh die halbe Sicherheit des Vogels,

der beinah beides weiß aus seinem Ursprung,

als wär er eine Seele der Etrusker,

aus einem Toten, den ein Raum empfing,

doch mit der ruhenden Figur als Deckel.

Und wie bestürzt ist eins, das fliegen muß

und stammt aus einem Schooß. Wie vor sich selbst

erschreckt, durchzuckts die Luft, wie wenn ein Sprung

durch eine Tasse geht. So reißt die Spur

der Fledermaus durchs Porzellan des Abends.

Und wir: Zuschauer, immer, überall,

dem allen zugewandt und nie hinaus!

Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.

Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.

Wer hat uns also umgedreht, daß wir,

was wir auch tun, in jener Haltung sind

von einem, welcher fortgeht? Wie er auf

dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal

noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt—,

so leben wir und nehmen immer Abschied.

DIE NEUNTE ELEGIE

Warum, wenn es angeht, also die Frist des Daseins

hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alle

andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem

Blattrand (wie eines Windes Lächeln)—: warum dann

Menschliches müssen—und, Schicksal vermeidend,

sich sehnen nach Schicksal? …

                                        Oh,
nicht
, weil Glück
ist
,

dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.

Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens,

das auch im Lorbeer
wäre.
.…

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