The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (26 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
12.24Mb size Format: txt, pdf, ePub

Fänden auch wir ein reines, verhaltenes, schmales

Menschliches, einen unseren Streifen Fruchtlands

zwischen Strom und Gestein. Denn das eigene Herz übersteigt uns

noch immer wie jene. Und wir können ihm nicht mehr

nachschaun in Bilder, die es besänftigen, noch in

göttliche Körper, in denen es größer sich mäßigt.

DIE DRITTE ELEGIE

Eines ist, die Geliebte zu singen. Ein anderes, wehe,

jenen verborgenen schuldigen Fluß-Gott des Bluts.

Den sie von weitem erkennt, ihren Jüngling, was weiß er

selbst von dem Herren der Lust, der aus dem Einsamen oft,

ehe das Mädchen noch linderte, oft auch als wäre sie nicht,

ach, von welchem Unkenntlichen triefend, das Gotthaupt

aufhob, aufrufend die Nacht zu unendlichem Aufruhr.

O des Blutes Neptun, o sein furchtbarer Dreizack.

O der dunkele Wind seiner Brust aus gewundener Muschel.

Horch, wie die Nacht sich muldet und höhlt. Ihr Sterne,

stammt nicht von euch des Liebenden Lust zu dem Antlitz

seiner Geliebten? Hat er die innige Einsicht

in ihr reines Gesicht nicht aus dem reinen Gestirn?

Du nicht hast ihm, wehe, nicht seine Mutter

hat ihm die Bogen der Braun so zur Erwartung gespannt.

Nicht an dir, ihn fühlendes Mädchen, an dir nicht

bog seine Lippe sich zum fruchtbarern Ausdruck.

Meinst du wirklich, ihn hätte dein leichter Auftritt

also erschüttert, du, die wandelt wie Frühwind?

Zwar du erschrakst ihm das Herz; doch ältere Schrecken

stürzten in ihn bei dem berührenden Anstoß.

Ruf ihn … du rufst ihn nicht ganz aus dunkelem Umgang.

Freilich, er
will
, er entspringt; erleichtert gewöhnt er

sich in dein heimliches Herz und nimmt und beginnt sich.

Aber begann er sich je?

Mutter,
du
machtest ihn klein, du warsts, die ihn anfing;

dir war er neu, du beugtest über die neuen

Augen die freundliche Welt und wehrtest der fremden.

Wo, ach, hin sind die Jahre, da du ihm einfach

mit der schlanken Gestalt wallendes Chaos vertratst?

Vieles verbargst du ihm so; das nächtlich-verdächtige Zimmer

machtest du harmlos, aus deinem Herzen voll Zuflucht

mischtest du menschlichern Raum seinem Nacht-Raum hinzu.

Nicht in die Finsternis, nein, in dein näheres Dasein

hast du das Nachtlicht gestellt, und es schien wie aus Freundschaft.

Nirgends ein Knistern, das du nicht lächelnd erklärtest,

so als wüßtest du längst,
wann
sich die Diele benimmt …

Und er horchte und linderte sich. So vieles vermochte

zärtlich dein Aufstehn; hinter den Schrank trat

hoch im Mantel sein Schicksal, und in die Falten des Vorhangs

paßte, die leicht sich verschob, seine unruhige Zukunft.

Und er selbst, wie er lag, der Erleichterte, unter

schläfernden Lidern deiner leichten Gestaltung

Süße lösend in den gekosteten Vorschlaf—:

schien
ein Gehüteter … Aber
innen:
wer wehrte,

hinderte innen in ihm die Fluten der Herkunft?

Ach, da
war
keine Vorsicht im Schlafenden; schlafend,

aber träumend, aber in Fiebern: wie er sich ein-ließ.

Er, der Neue, Scheuende, wie er verstrickt war,

mit des innern Geschehns weiterschlagenden Ranken

schon zu Mustern verschlungen, zu würgendem Wachstum, zu tierhaft

jagenden Formen. Wie er sich hingab—. Liebte.

Liebte sein Inneres, seines Inneren Wildnis,

diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein

lichtgrün sein Herz stand. Liebte. Verließ es, ging die

eigenen Wurzeln hinaus in gewaltigen Ursprung,

wo seine kleine Geburt schon überlebt war. Liebend

stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,

wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes

Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.

Ja, das Entsetzliche lächelte … Selten

hast du so zärtlich gelächelt, Mutter. Wie sollte

er es nicht lieben, da es ihm lächelte.
Vor
dir

hat ers geliebt, denn, da du ihn trugst schon,

war es im Wasser gelöst, das den Keimenden leicht macht.

Siehe, wir lieben nicht, wie die Blumen, aus einem

einzigen Jahr; uns steigt, wo wir lieben,

unvordenklicher Saft in die Arme. O Mädchen,

dies:
daß wir liebten
in
uns, nicht Eines, ein Künftiges, sondern

das zahllos Brauende; nicht ein einzelnes Kind,

sondern die Väter, die wie Trümmer Gebirgs

uns im Grunde beruhn; sondern das trockene Flußbett

einstiger Mütter—; sondern die ganze

lautlose Landschaft unter dem wolkigen oder

reinen Verhängnis—:
dies
kam dir, Mädchen, zuvor.

Und du selber, was weißt du—, du locktest

Vorzeit empor in dem Liebenden. Welche Gefühle

wühlten herauf aus entwandelten Wesen. Welche

Frauen haßten dich da. Wasfür finstere Männer

regtest du auf im Geäder des Jünglings? Tote

Kinder wollten zu dir … O leise, leise,

tu ein liebes vor ihm, ein verläßliches Tagwerk,—führ ihn

nah an den Garten heran, gieb ihm der Nächte

Übergewicht ……

                         Verhalt ihn……

DIE VIERTE ELEGIE

O Bäume Lebens, o wann winterlich?

Wir sind nicht einig. Sind nicht wie die Zug-

vögel verständigt. Überholt und spät,

so drängen wir uns plötzlich Winden auf

und fallen ein auf teilnahmslosen Teich.

Blühn und verdorrn ist uns zugleich bewußt.

Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen,

solang sie herrlich sind, von keiner Ohnmacht.

Uns aber, wo wir Eines meinen, ganz,

ist schon des andern Aufwand fühlbar. Feindschaft

ist uns das Nächste. Treten Liebende

nicht immerfort an Ränder, eins im andern,

die sich versprachen Weite, Jagd und Heimat.

    Da wird für eines Augenblickes Zeichnung

ein Grund von Gegenteil bereitet, mühsam,

daß wir sie sähen; denn man ist sehr deutlich

mit uns. Wir kennen den Kontur

des Fühlens nicht: nur, was ihn formt von außen.

    Wer saß nicht bang vor seines Herzens Vorhang?

Der schlug sich auf: die Szenerie war Abschied.

Leicht zu verstehen. Der bekannte Garten,

und schwankte leise: dann erst kam der Tänzer.

Nicht
der.
Genug! Und wenn er auch so leicht tut,

er ist verkleidet und er wird ein Bürger

und geht durch seine Küche in die Wohnung.

    Ich will nicht diese halbgefüllten Masken,

lieber die Puppe. Die ist voll. Ich will

den Balg aushalten und den Draht und ihr

Gesicht aus Aussehn. Hier. Ich bin davor.

Wenn auch die Lampen ausgehn, wenn mir auch

gesagt wird: Nichts mehr—, wenn auch von der Bühne

das Leere herkommt mit dem grauen Luftzug,

wenn auch von meinen stillen Vorfahrn keiner

mehr mit mir dasitzt, keine Frau, sogar

der Knabe nicht mehr mit dem braunen Schielaug:

Ich bleibe dennoch. Es giebt immer Zuschaun.

Hab ich nicht recht? Du, der um mich so bitter

das Leben schmeckte, meines kostend, Vater,

den ersten trüben Aufguß meines Müssens,

da ich heranwuchs, immer wieder kostend

und, mit dem Nachgeschmack so fremder Zukunft

beschäftigt, prüftest mein beschlagnes Aufschaun,—

der du, mein Vater, seit du tot bist, oft

in meiner Hoffnung, innen in mir, Angst hast,

und Gleichmut, wie ihn Tote haben, Reiche

von Gleichmut, aufgiebst für mein bißchen Schicksal,

hab ich nicht recht? Und ihr, hab ich nicht recht,

die ihr mich liebtet für den kleinen Anfang

Liebe zu euch, von dem ich immer abkam,

weil mir der Raum in eurem Angesicht,

da ich ihn liebte, überging in Weltraum,

in dem ihr nicht mehr wart.… : wenn mir zumut ist,

zu warten vor der Puppenbühne, nein,

so völlig hinzuschaun, daß, um mein Schauen

am Ende aufzuwiegen, dort als Spieler

ein Engel hinmuß, der die Bälge hochreißt.

Engel und Puppe: dann ist endlich Schauspiel.

Dann kommt zusammen, was wir immerfort

entzwein, indem wir da sind. Dann entsteht

aus unsern Jahreszeiten erst der Umkreis

des ganzen Wandelns. Über uns hinüber

spielt dann der Engel. Sieh, die Sterbenden,

sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand

das alles ist, was wir hier leisten. Alles

ist nicht es selbst. O Stunden in der Kindheit,

da hinter den Figuren mehr als nur

Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft.

Wir wuchsen freilich und wir drängten manchmal,

bald groß zu werden, denen halb zulieb,

die andres nicht mehr hatten, als das Großsein.

Und waren doch, in unserem Alleingehn,

mit Dauerndem vergnügt und standen da

im Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug,

an einer Stelle, die seit Anbeginn

gegründet war für einen reinen Vorgang.

Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt

es ins Gestirn und giebt das Maß des Abstands

ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod

aus grauem Brot, das hart wird,—oder läßt

ihn drin im runden Mund, so wie den Gröps

von einem schönen Apfel? …… Mörder sind

leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,

den ganzen Tod, noch
vor
dem Leben so

sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,

ist unbeschreiblich.

DIE FÜNFTE ELEGIE

Frau Hertha Koenig zugeeignet

Wer aber
sind
sie, sag mir, die Fahrenden, diese ein wenig

Flüchtigern noch als wir selbst, die dringend von früh an

wringt ein
wem, wem
zu Liebe

niemals zufriedener Wille? Sondern er wringt sie,

biegt sie, schlingt sie und schwingt sie,

wirft sie und fängt sie zurück; wie aus geölter,

glatterer Luft kommen sie nieder

auf dem verzehrten, von ihrem ewigen

Aufsprung dünneren Teppich, diesem verlorenen

Teppich im Weltall.

Aufgelegt wie ein Pflaster, als hätte der Vorstadt-

Himmel der Erde dort wehe getan.

                                        Und kaum dort,

aufrecht, da und gezeigt: des Dastehns

großer Anfangsbuchstab …, schon auch, die stärksten

Männer, rollt sie wieder, zum Scherz, der immer

kommende Griff, wie August der Starke bei Tisch

einen zinnenen Teller.

Ach und um diese

Mitte, die Rose des Zuschauns:

blüht und entblättert. Um diesen

Stampfer, den Stempel, den von dem eignen

blühenden Staub getroffnen, zur Scheinfrucht

wieder der Unlust befruchteten, ihrer

niemals bewußten,—glänzend mit dünnster

Oberfläche leicht scheinlächelnden Unlust.

Da: der welke, faltige Stemmer,

der alte, der nur noch trommelt,

eingegangen in seiner gewaltigen Haut, als hätte sie früher

zwei
Männer enthalten, und einer

läge nun schon auf dem Kirchhof, und er überlebte den andern,

taub und manchmal ein wenig

wirr, in der verwitweten Haut

Aber der junge, der Mann, als wär er der Sohn eines Nackens

und einer Nonne: prall und strammig erfüllt

mit Muskeln und Einfalt.

Oh ihr,

die ein Leid, das noch klein war,

einst als Spielzeug bekam, in einer seiner

langen Genesungen.…

Du, der mit dem Aufschlag,

wie nur Früchte ihn kennen, unreif,

täglich hundertmal abfällt vom Baum der gemeinsam

erbauten Bewegung (der, rascher als Wasser, in wenig

Minuten Lenz, Sommer und Herbst hat)—

abfällt und anprallt ans Grab:

manchmal, in halber Pause, will dir ein liebes

Antlitz entstehn hinüber zu deiner selten

zärtlichen Mutter; doch an deinen Körper verliert sich,

der es flächig verbraucht, das schüchtern

kaum versuchte Gesicht … Und wieder

klatscht der Mann in die Hand zu dem Ansprung, und eh dir

jemals ein Schmerz deutlicher wird in der Nähe des immer

trabenden Herzens, kommt das Brennen der Fußsohln

ihm, seinem Ursprung, zuvor mit ein paar dir

rasch in die Augen gejagten leiblichen Tränen.

Und dennoch, blindlings,

das Lächeln ……

Engel! o nimms, pflücks, das kleinblütige Heilkraut.

Schaff eine Vase, verwahrs! Stells unter jene, uns
noch
nicht

offenen Freuden; in lieblicher Urne

rühms mit blumiger schwungiger Aufschrift:

                                        > Subrisio Saltat. < .

    Du dann, Liebliche,

du, von den reizendsten Freuden

stumm Übersprungne. Vielleicht sind

deine Fransen glücklich für dich—,

oder über den jungen

prallen Brüsten die grüne metallene Seide

fühlt sich unendlich verwöhnt und entbehrt nichts.

Du,

immerfort anders auf alle des Gleichgewichts schwankende Waagen

hingelegte Marktfrucht des Gleichmuts,

öffentlich unter den Schultern.

Wo, o
wo
ist der Ort—ich trag ihn im Herzen—,

wo sie noch lange nicht
konnten
, noch von einander

abfieln, wie sich bespringende, nicht recht

paarige Tiere;—

wo die Gewichte noch schwer sind;

wo noch von ihren vergeblich

wirbelnden Stäben die Teller

torkeln.…

Und plötzlich in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich

die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig

unbegreiflich verwandelt—, umspringt

in jenes leere Zuviel.

Wo die vielstellige Rechnung

zahlenlos aufgeht.

Other books

The Space Between Us by Megan Hart
Kylee's Story by Malone, A.
Fire and ice by Dana Stabenow
Await Your Reply by Dan Chaon