The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (28 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar

alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das

seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten.
Ein
Mal

jedes, nur
ein
Mal.
Ein
Mal und nichtmehr. Und wir auch

ein
Mal. Nie wieder. Aber dieses

ein
Mal gewesen zu sein, wenn auch nur
ein
Mal:

irdisch
gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.

Und so drängen wir uns und wollen es leisten,

wollens enthalten in unsern einfachen Händen,

im überfüllteren Blick und im sprachlosen Herzen.

Wollen es werden.—Wem es geben? Am liebsten

alles behalten für immer … Ach, in den andern Bezug,

wehe, was nimmt man hinüber? Nicht das Anschaun, das hier

langsam erlernte, und kein hier Ereignetes. Keins.

Also die Schmerzen. Also vor allem das Schwersein,

also der Liebe lange Erfahrung,—also

lauter Unsägliches. Aber später,

unter den Sternen, was solls:
die
sind
besser
unsäglich.

Bringt doch der Wanderer auch vom Hange des Bergrands

nicht eine Hand voll Erde ins Tal, die Allen unsägliche, sondern

ein erworbenes Wort, reines, den gelben und blaun

Enzian. Sind wir vielleicht
hier
, um zu sagen: Haus,

Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster,—

höchstens: Säule, Turm.… aber zu
sagen
, verstehs,

oh zu sagen
so
, wie selber die Dinge niemals

innig meinten zu sein. Ist nicht die heimliche List

dieser verschwiegenen Erde, wenn sie die Liebenden drängt,

daß sich in ihrem Gefühl jedes und jedes entzückt?

Schwelle: was ists für zwei

Liebende, daß sie die eigne ältere Schwelle der Tür

ein wenig verbrauchen, auch sie, nach den vielen vorher

und vor den Künftigen.…, leicht.

Hier
ist des
Säglichen
Zeit,
hier
seine Heimat.

Sprich und bekenn. Mehr als je

fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,

was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.

Tun unter Krusten, die willig zerspringen, sobald

innen das Handeln entwächst und sich anders begrenzt.

Zwischen den Hämmern besteht

unser Herz, wie die Zunge

zwischen den Zähnen, die doch,

dennoch, die preisende bleibt.

Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche,
ihm

kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,

wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig

ihm das Einfache, das, von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,

als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.

Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehn; wie du standes

bei dem Seiler in Rom, oder beim Töpfer am Nil.

Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser,

wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt,

dient als ein Ding, oder stirbt in ein Ding—, und jenseits

selig der Geige entgeht.—Und diese, von Hingang

lebenden Dinge verstehn, daß du sie rühmst; vergänglich,

traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu.

Wollen, wir sollen sie ganz im unsichtbarn Herzen verwandeln

in—o unendlich—in uns! Wer wir am Ende auch seien.

Erde, ist es nicht dies, was du willst:
unsichtbar

in uns erstehn?—Ist es dein Traum nicht,

einmal unsichtbar zu sein?—Erde! unsichtbar!

Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drangender Auftrag?

Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte

nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen—,
einer
,

ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.

Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.

Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall

ist der vertrauliche Tod.

Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft

werden weniger…..Überzähliges Dasein

entspringt mir im Herzen.

DIE ZEHNTE ELEGIE

Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht,

Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.

Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens

keiner versage an weichen, zweifelnden oder

reißenden Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz

glänzender mache; daß das unscheinbare Weinen

blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,

gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,

hinnahm, nicht in euer gelöstes

Haar mich gelöster ergab. Wir, Vergeuder der Schmerzen.

Wie wir sie absehn voraus, in die traurige Dauer,

ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja

unser winterwähriges Laub, unser dunkeles Sinngrün,

eine
der Zeiten des heimlichen Jahres—, nicht nur

Zeit—, sind Stelle, Siedelung, Lager, Boden, Wohnort.

Freilich, wehe, wie fremd sind die Gassen der Leid-Stadt,

wo in der falschen, aus Übertönung gemachten

Stille, stark, aus der Gußform des Leeren der Ausguß

prahlt: der vergoldete Lärm, das platzende Denkmal.

O, wie spurlos zerträte ein Engel ihnen den Trostmarkt,

den die Kirche begrenzt, ihre fertig gekaufte:

reinlich und zu und enttäuscht wie ein Postamt am Sonntag.

Draußen aber kräuseln sich immer die Ränder von Jahrmarkt.

Schaukeln der Freiheit! Taucher und Gaukler des Eifers!

Und des behübschten Glücks figürliche Schießstatt,

wo es zappelt von Ziel und sich blechern benimmt,

wenn ein Geschickterer trifft. Von Beifall zu Zufall

taumelt er weiter; denn Buden jeglicher Neugier

werben, trommeln und plärrn. Für Erwachsene aber

ist noch besonders zu sehn, wie das Geld sich vermehrt, anatomisch,

nicht zur Belustigung nur: der Geschlechtsteil des Gelds,

alles, das Ganze, der Vorgang—, das unterrichtet und macht

fruchtbar ………

.… Oh aber gleich darüber hinaus,

hinter der letzten Planke, beklebt mit Plakaten des > Todlos <,

jenes bitteren Biers, das den Trinkenden süß scheint,

wenn sie immer dazu frische Zerstreuungen kaun …,

gleich im Rücken der Planke, gleich dahinter, ists
wirklich
.

Kinder spielen, und Liebende halten einander,—abseits,

ernst, im ärmlichen Gras, und Hunde haben Natur.

Weiter noch zieht es den Jüngling; vielleicht, daß er eine junge

Klage liebt…… Hinter ihr her kommt er in Wiesen. Sie sagt:

—Weit. Wir wohnen dort draußen.…

                                        Wo? Und der Jüngling

folgt. Ihn rührt ihre Haltung. Die Schulter, der Hals—, vielleicht

ist sie von herrlicher Herkunft. Aber er läßt sie, kehrt um,

wendet sich, winkt … Was solls? Sie ist eine Klage.

Nur die jungen Toten, im ersten Zustand

zeitlosen Gleichmuts, dem der Entwöhnung,

folgen ihr liebend. Mädchen

wartet sie ab und befreundet sie. Zeigt ihnen leise,

was sie an sich hat. Perlen des Leids und die feinen

Schleier der Duldung.—Mit Jünglingen geht sie

schweigend.

Aber dort, wo sie wohnen, im Tal, der Alteren eine, der Klagen,

nimmt sich des Jünglinges an, wenn er fragt:—Wir waren,

sagt sie, ein Großes Geschlecht, einmal, wir Klagen. Die Väter

trieben den Bergbau dort in dem großen Gebirg; bei Menschen

findest du manchmal ein Stück geschliffenes Ur-Leid

oder, aus altem Vulkan, schlackig versteinerten Zorn.

Ja, das stammte von dort. Einst waren wir reich.—

Und sie leitet ihn leicht durch die weite Landschaft der Klagen,

zeigt ihm die Säulen der Tempel oder die Trümmer

jener Burgen, von wo Klage-Fürsten das Land

einstens weise beherrscht. Zeigt ihm die hohen

Tränenbäume und Felder blühender Wehmut,

(Lebendige kennen sie nur als sanftes Blattwerk);

zeigt ihm die Tiere der Trauer, weidend,—und manchmal

schreckt ein Vogel und zieht, flach ihnen fliegend durchs Aufschaun,

weithin das schriftliche Bild seines vereinsamten Schreis.—

Abends führt sie ihn hin zu den Gräbern der Alten

aus dem Klage-Geschlecht, den Sibyllen und Warn-Herrn.

Naht aber Nacht, so wandeln sie leiser, und bald

mondets empor, das über Alles

wachende Grab-Mal. Brüderlich jenem am Nil,

der erhabene Sphinx—: der verschwiegenen Kammer

Antlitz.

Und sie staunen dem krönlichen Haupt, das für immer,

schweigend, der Menschen Gesicht

auf die Waage der Sterne gelegt.

Nicht erfaßt es sein Blick, im Frühtod

schwindelnd. Aber ihr Schaun,

hinter dem Pschent-Rand hervor, scheucht es die Eule. Und sie,

streifend im langsamen Abstrich die Wange entlang,

jene der reifesten Rundung,

zeichnet weich in das neue

Totengehör, über ein doppelt

aufgeschlagenes Blatt, den unbeschreiblichen Umriß.

Und höher, die Sterne. Neue. Die Sterne des Leidlands.

Langsam nennt sie die Klage:—Hier,

siehe: den
Reiter
, den
Stab
, und das vollere Sternbild

nennen sie:
Fruchtkranz.
Dann, weiter, dem Pol zu:

Wiege; Weg; Das Brennende Buch; Puppe; Fenster.

Aber im südlichen Himmel, rein wie im Innern

einer gesegneten Hand, das klar erglänzende
M
,

das die Mütter bedeutet …… —

Doch der Tote muß fort, und schweigend bringt ihn die ältere

Klage bis an die Talschlucht,

wo es schimmert im Mondschein:

die Quelle der Freude. In Ehrfurcht

nennt sie sie, sagt:—Bei den Menschen

ist sie ein tragender Strom.—

Stehn am Fuß des Gebirgs.

Und da umarmt sie ihn, weinend.

Einsam steigt er dahin, in die Berge des Ur-Leids.

Und nicht einmal sein Schritt klingt aus dem tonlosen Los.

*

Aber erweckten sie uns, die unendlich Toten, ein Gleichnis,

siehe, sie zeigten vielleicht auf die Kätzchen der leeren

Hasel, die hängenden, oder

meinten den Regen, der fällt auf dunkles Erdreich im Frühjahr.—

Und wir, die an
steigendes
Glück

denken, empfänden die Rührung,

die uns beinah bestürzt,

wenn ein Glückliches
fällt.

ANHANG ZU
DUINO ELEGIEN
Notes
[FRAGMENT EINER ELEGIE]

Soll ich die Städte rühmen, die überlebenden

(die ich anstaunte) großen Sternbilder der Erde.

Denn nur zum Rühmen noch steht mir das Herz, so gewaltig

weiß ich die Welt. Und selbst meine Klage

wird mir zur Preisung dicht vor dem stöhnenden Herzen.

Sage mir keiner, daß ich die Gegenwart nicht

liebe; ich schwinge in ihr; sie trägt mich, sie giebt mir

diesen geräumigen Tag, den uralten Werktag

daß ich ihn brauche, und wirft in gewährender Großmut

über mein Dasein niegewesene Nächte.

Ihre Hand ist stark über mir und wenn sie im Schicksal

unten mich hielte, vertaucht, ich müßte versuchen

unten zu atmen. Auch bei dem leisesten Auftrag

säng ich sie gerne. Doch vermut ich, sie will nur,

daß ich vibriere wie sie. Einst tönte der Dichter

über die Feldschlacht hinaus; was will eine Stimme

neben dem neuen Gedröhn der metallenen Handlung

drin diese Zeit sich verringt mit anstürmender Zukunft.

Auch bedarf sie des Anrufes kaum, ihr eigener Schlachtlärm

übertönt sich zum Lied. So laßt mich solange

vor Vergehendem stehn; anklagend nicht, aber

noch einmal bewundernd. Und wo mich eines

das mir vor Augen versinkt, etwa zur Klage bewegt

sei es kein Vorwurf für euch. Was sollen jüngere Völker

nicht fortstürmen von dem was der morschen oft

ruhmloser Abbruch begrub. Sehet, es wäre

arg um das Große bestellt, wenn es irgend der Schonung

bedürfte. Wem die Paläste oder der Gärten

Kühnheit nicht mehr, wem Aufstieg und Rückfall

alter Fontänen nicht mehr, wem das Verhaltene

in den Bildern oder der Statuen ewiges Dastehn

nicht mehr die Seele erschreckt und verwandelt, der gehe

diesem hinaus und tue sein Tagwerk; wo anders

lauert das Große auf ihn und wird ihn wo anders

anfalln, daß er sich wehrt.

[URSPRÜNGLICHE FASSUNG DER ZEHNTEN ELEGIE]

[Fragmentarisch]

Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsich

Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.

Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens

keiner versage an weichen, zweifelnden oder

jähzornigen Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz

glänzender mache; daß das unscheinbare Weinen

blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,

gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,

hinnahm, nicht in euer gelöstes

Haar mich gelöster ergab. Wir Vergeuder der Schmerzen.

Wie wir sie absehn voraus in die traurige Dauer,

ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja

Zeiten von uns, unser winter-

währiges Laubwerk, Wiesen, Teiche, angeborene Landschaft,

von Geschöpfen im Schilf und von Vögeln bewohnt.

Oben, der hohen, steht nicht die Hälfte der Himmel

über der Wehmut in uns, der bemühten Natur?

Denk, du beträtest nicht mehr dein verwildertes Leidtum,

sähest die Sterne nicht mehr durch das herbere Blättern

schwärzlichen Schmerzlaubs, und die Trümmer von Schicksal

böte dir höher nicht mehr der vergrößernde Mondschein,

daß du an ihnen dich fühlst wie ein einstiges Volk?

Lächeln auch wäre nicht mehr, das zehrende derer,

die du hinüberverlorest—, so wenig gewaltsam,

eben an dir nur vorbei, traten sie rein in dein Leid.

(Fast wie das Mädchen, das grade dem Freier sich zusprach,

der sie seit Wochen bedrängt, und sie bringt ihn erschrocken

an das Gitter des Gartens, den Mann, der frohlockt und ungern

fortgeht: da stört sie ein Schritt in dem neueren Abschied,

und sie wartet und steht und da trifft ihr vollzähliges Aufschaun

ganz in das Aufschaun des Fremden, das Aufschaun der Jungfrau,

die ihn unendlich begreift, den draußen, der ihr bestimmt war,

draußen den wandernden Andern, der ihr ewig bestimmt war.

Hallend geht er vorbei.) So immer verlorst du;

als ein Besitzender nicht: wie sterbend einer,

vorgebeugt in die feucht herwehende Märznacht,

ach, den Frühling verliert in die Kehlen der Vögel.

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