Read Die Blechtrommel Online

Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

Die Blechtrommel (22 page)

BOOK: Die Blechtrommel
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Und über den Turner am Kreuz hinweg, der nicht zuckte, der schwieg, sang ich die drei hohen Fenster der Apsis an, die rot, gelb und grün auf blauem Grund zwölf Apostel darstellten. Zielte aber weder auf Markus noch auf Matthäus. Auf jene Taube über ihnen, die auf dem Kopf stand und Pfingsten feierte, auf den Heiligen Geist zielte ich, kam ins Vibrieren, kämpfte mit meinem Diamanten gegen den Vogel und: Lag es an mir? Lag es am Turner, der, weil er nicht zuckte, Einspruch erhob? War das das Wunder, und keiner begriff es? Sie sahen mich zittern und lautlos gegen die Apsis hinströmen, nahmen es, außer Mama, als Beten, während ich doch Scherben wollte; aber Oskar versagte, seine Zeit war noch nicht gekommen. Auf die Fliesen ließ ich mich fallen und weinte bitterlich, weil Jesus versagt hatte, weil Oskar versagte, weil Hochwürden und Rasczeia mich falsch verstanden, sogleich von Reue faselten. Nur Mama versagte nicht. Sie verstand meine Tränen, obgleich sie froh sein mußte, daß es keine Scherben gegeben hatte..

Da nahm mich Mama auf den Arm, bat sich vom Vikar Trommel und Knüppel zurück, versprach Hochwürden, den Schaden wiedergutzumachen, erhielt auch von jenem nachträglich, weil ich die Beichteunterbrochen hatte, die Absolution; auch Oskar bekam etwas Segen ab, doch das sagte mir nichts.

Während Mama mich aus der Herz-Jesu-Kirche trug, zählte ich an meinen Fingern ab: Heute ist Montag, morgen Kardienstag, Mittwoch, Gründonnerstag, und Karfreitag ist Schluß mit ihm, der nicht einmal trommeln kann, der mir keine Scherben gönnt, der mir gleicht und doch falsch ist, der ins Grab muß, während ich weitertrommeln und weitertrommeln, aber nach keinem Wunder mehr Verlangen zeigen werde.

KARFREITAGSKOST

Zwiespältig, das wäre ein Wort, meine Gefühle zwischen dem Karmontag und dem Karfreitag zu benennen. Einerseits ärgerte ich mich über jenen gipsernen Jesusknaben, der nicht trommeln wollte, andererseits blieb so mir alleine die Trommel vorbehalten. Wenn auf der einen Seite meine Stimme den Kirchenfenstern gegenüber auch versagte, erhielt sich Oskar auf der anderen Seite angesichts des heilen und bunten Glases jenen Rest katholischen Glaubens, der ihm noch viele verzweifelte Lästerungen eingeben sollte.

Doch weiter im Zwiespalt: gelang es mir einerseits, auf dem Heimweg, von der Herz-Jesu-Kirche kommend, probeweise ein Mansardenfenster zu zersingen, machte mich andererseits der Erfolg meiner Stimme dem Profanen gegenüber fortan auf meine Mißerfolge im sakralen Sektor aufmerksam.

Zwiespältig, sage ich. Dieser Bruch blieb, ließ sich nicht heilen und klafft heute noch, da ich weder im Sakralen noch im Profanen beheimatet bin, dafür etwas abseits in einer Heil-und Pflegeanstalt hause.

Mama bezahlte den Schaden am linken Seitenaltar. Das Ostergeschäft war gut, obgleich der Laden auf Matzeraths Wunsch, der ja Protestant war, am Karfreitag geschlossen werden mußte. Mama, die sonst immer ihren Willen durchsetzte, gab jeweils an den Karfreitagen nach, machte den Laden zu und beanspruchte dafür am Fronleichnamstag das Recht, aus katholischen Gründen das Kolonialwarengeschäft geschlossen zu halten, die Persilpackungen und Kaffee-Hag-Attrappen gegen ein buntes, elektrisch beleuchtetes Marienbildchen im Schaufenster auszutauschen und an der Prozession in Oliva teilzunehmen.

Es gab einen Pappdeckel, auf dessen einer Seite man lesen konnte: Wegen Karfreitag geschlossen. Die andere Seite der Pappe besagte: Wegen Fronleichnam geschlossen. An jenem Karfreitag, der dem trommellosen und stimmlosen Karmontag folgte, hängte Matzerath die Pappe mit »Wegen Karfreitag geschlossen« ins Schaufenster, und wir fuhren gleich nach dem Frühstück mit der Straßenbahn nach Brösen. Um beim Wort zu bleiben: zwiespältig nahm sich der Labesweg aus. Die Protestanten gingen zur Kirche, die Katholiken putzten die Fensterscheiben und klopften auf den Hinterhöfen alles, was einem Teppich nur ähnlich war, so kraftvoll und weithallend, daß man meinte, biblische Knechte nagelten auf allen Höfen der Mietshäuser gleichzeitig einen vervielfältigten Heiland auf vervielfältigte Kreuze.

Wir aber ließen die passionsträchtige Teppichklopferei hinter uns, setzten uns in oftbewährter Zusammenstellung: Mama, Matzerath, Jan Bronski und Oskar in die Straßenbahn Linie Neun und fuhren durch den Brösener Weg, am Flugplatz, alten und neuen Exerzierplatz vorbei, warteten an der Weiche neben dem Friedhof Saspe auf die von Neufahrwasser — Brösen entgegenkommende Bahn.

Mama nahm den Aufenthalt zum Anlaß für lächernd geäußerte, dennoch lebensmüde Betrachtungen.

Den kleinen unbenutzten Gottesacker, auf dem sich schief und bewachsen Grabsteine des letzten Jahrhunderts unter verkrüppelten Strandkiefern hielten, nannte sie hübsch, romantisch und bezaubernd.

»Auf dem mecht ich mal liegen, wenner noch in Betrieb war«, schwärmte Mama. Aber Matzerath fand den Boden zu sandig, beschimpfte die dort wuchernden Stranddisteln und den tauben Hafer. Jan Bronski gab zu bedenken, daß der Lärm vom Flugplatz her und die sich neben dem Friedhof ausweichenden Straßenbahnen den Frieden des sonst idyllischen Fleckens stören könnten.

Die entgegenkommende Bahn wich uns aus, zweimal klingelte der Schaffner, und wir fuhren, Saspe und seinen Friedhof hinter uns lassend, gegen Brösen, ein Badeort, der um diese Zeit, etwa Ende April, recht schief und trostlos aussah. Die Erfrischungsbuden vernagelt, das Kurhaus blind, der Seesteg ohne Fahnen, in der Badeanstalt reihten sich zweihundertfünfzig leere Zellen. An der Wettertafel noch Kreidespuren vom Vorjahr: Luft: zwanzig; Wasser: Siebzehn; Wind: Nordost;

Weitere Aussichten: heiter bis wolkig.

Zuerst wollten wir alle zu Fuß nach Glettkau, schlugen dann aber, ohne es zu besprechen, den entgegengesetzten Weg, den Weg zur Mole ein. Die Ostsee leckte träge und breit den Strand. Bis zur Hafeneinfahrt zwischen weißem Leuchtturm und der Mole mit dem Seezeichen kein Mensch unterwegs. Ein am Vortag gefallener Regen hatte dem Sand sein gleichmäßigstes Muster aufgedrückt, das zu zerstören, barfuß Stempel hinterlassend, Spaß machte. Matzerath ließ guldenstückgroße, sanft geschliffene Ziegelscherben übers grünliche Wasser hüpfen und zeigte Ehrgeiz dabei. Jan Bronski, weniger geschickt, suchte zwischen den Wurfversuchen nach Bernstein, fand auch einige Sputter und ein Stück von der Größe eines Kirschkernes, das er Mama schenkte, die gleich mir barfuß lief, sich immer wieder umblickte und wie in ihre Spuren verliebt zeigte. Die Sonne schien vorsichtig. Es war kühl, windstill, klar; man konnte den Streifen am Horizont erkennen, der die Halbinsel Heia bedeutete, auch zwei drei schwindende Rauchfahnen und die sprunghaft über die Kimm kletternden Aufbauten eines Handelsschiffes.Nacheinander und in unterschiedlichen Abständen erreichten wir die ersten Granitbrocken der breiten Molenwurzel. Mama und ich zogen wieder Strümpfe und Schuhe an. Sie half mir beim Schnüren, während Matzerath und Jan schon auf dem holperigen Scheitel der Mole von Stein zu Stein gegen die offene See hinhüpften. Klamme Tangbärte wuchsen unordentlich aus den Fugen des Fundamentes. Oskar hätte sie kämmen mögen. Aber Mama nahm mich bei der Hand, und wir folgten den Männern, die vor uns wie Schulbuben taten. Bei jedem Schritt schlug meine Trommel gegen mein Knie; ich wollte sie mir selbst hier nicht abnehmen lassen. Mama trug einen hellblauen Frühjahrsmantel mit himbeerfarbenen Aufschlägen. Die Granitbrocken bereiteten ihren Stöckelschuhen Mühe. Ich steckte wie an jedem Sonn-und Feiertag in meinem Matrosenmantel mit den goldenen Ankerknöpfen. Ein altes Mützenband aus Gretchen Schefflers Andenkensammlung mit der Aufschrift »SMS Seydlitz« faßte meine Matrosenmütze ein, hätte geflattert, wenn es windig gewesen wäre. Matzerath knöpfte seinen braunen Paletot auf. Jan, vornehm wie immer, im Ulster mit dem schimmernden Sammetkragen.

Wir sprangen bis zum Seezeichen am Ende der Mole. Unter dem Seezeichen saß ein älterer Mann mit Stauermütze und wattierter Jacke. Neben ihm lag ein Kartoffelsack, in dem es zuckte und unaufhörlich Bewegung zeigte. Der Mann, der wahrscheinlich in Brösen oder Neufahrwasser zu Hause war, hielt das Ende einer Wäscheleine. Mit Seegras verfilzt verschwand die Leine im brackigen Mottlauwasser, das in der Mündung noch ungeklärt und ohne Hilfe der offenen See gegen die Molensteine klatschte.

Wir wollten wissen, warum der Mann unter der Stauermütze mit einer ordinären Wäscheleine und offensichtlich ohne Schwimmer angelte. Mama fragte ihn gutmütig spöttelnd und sagte Onkel zu ihm.

Der Onkel grinste, zeigte uns tabakbraune Zahnstümpfe und spuckte, ohne sich weiter .zu erklären, langen, brockigen, sich in der Luft überschlagenden Saft in die Brühe zwischen den unteren, teerund ölüberzogenen Granitbuckeln. Dort schaukelte die Ausscheidung so lange, bis eine Möwe kam und sie ihm Flug, den Steinen geschickt ausweichend, mitnahm und andere, kreischende Möwen nach sich zog.

Schon wollten wir gehen, denn es war kühl auf der Mole, und die Sonne half nicht, da begann der Mann mit der Stauermütze das Seil Zug um Zug einzuholen. Mama wollte trotzdem gehen. Aber Matzerath war nicht vom Fleck zu bringen. Auch Jan, der sonst Mama keinen Wunsch abschlug, wollte sie diesmal nicht unterstützen. Oskar war es gleichgültig, ob wir blieben oder gingen. Doch weil wir blieben, schaute ich zu. Während der Stauer gleichmäßig greifend, mit jedem Griff das Seegras abstreifend, die Leine zwischen seinen Beinen sammelte, vergewisserte ich mich, daß der Handelsdampfer, der vor einer knappen halben Stunde kaum mit den Aufbauten über die Kimm gelangt hatte, nun, tief im Wasser liegend, den Kurs änderte und den Hafen anlief. Wenn er so tief liegt, wird es ein Schwede mit Erz sein, schätzte Oskar.

Ich ließ von dem Schweden ab, als der Stauer sich umständlich erhob. »Na nu mechten wä beßchen kieken, was is mit ihm.« Das sagte er zu Matzerath, der nichts verstand und dem Stauer dennoch beipflichtete. »Na nu mechten wä ...« und »Beßchen kieken ...« ständig wiederholend hievte der Stauer das Seil weiterhin, doch nun mit mehr Anstrengung, kletterte dem Seil entgegen die Steine hinunter und griff — Mama drehte sich nicht rechtzeitig genug weg — breitarmig griff er in die aufblubbernde Bucht zwischem dem Granit, suchte, faßte etwas, faßte nach, zog und schleuderte, laut Platz fordernd, etwas triefend Schweres, einen sprühend lebendigen Brocken zwischen uns: einen Pferdekopf, einen frischen, wie echten Pferdekopf, den Kopf eines schwarzen Pferdes, einen schwarzmähnigen Rappenkopf also, der gestern noch, vorgestern noch gewiehert haben mochte; denn faul war der Kopf nicht, stank nicht, höchstens nach Mottlauwasser; aber danach roch alles auf der Mole.

Schon stand der mit der Stauermütze — die saß ihm jetzt im Nak-ken — breitbeinig über dem Stück Gaul, aus dem sich wütend hellgrün kleine Aale schleuderten. Der Mann hatte Mühe, sie zu fangen; denn Aale bewegen sich auf glatten, dazu noch feuchten Steinen schnell und geschickt. Auch waren sofort Möwen und Möwengeschrei über uns. Die stießen zu, schafften spielend zu dritt oder viert einen kleinen bis mittleren Aal, ließen sich auch nicht vertreiben; denn denen gehörte die Mole.

Trotzdem gelang es dem Stauer, der zwischen die Möwen schlug und Zugriff, vielleicht zwei Dutzend kleinere Aale in den Sack zu stopfen, den Matzerath hilfsbereit, wie er sich gerne gab, hielt. So konnte er auch nicht sehen, daß Mama käsig im Gesicht wurde, zuerst die Hand und gleich darauf den Kopf auf Jans Schulter und Sammetkragen legte.

Aber als die kleinen und mittleren Aale im Sack waren und der Stauer, dem bei seinem Geschäft die Mütze vom Kopf gefallen war, anfing, dickere, dunkle Aale aus dem Kadaver zu würgen, da mußte Mama sich setzen, und Jäh wollte ihr den Kopf weg drehen, aber das ließ sie nicht zu, starrte unentwegt mit dicken Kuhaugen mitten hinein in das Würmerziehen des Stauers.

»Beßchenkieken!« stöhnte der zwischendurch. »Na nu mechten wä!« Riß, mit dem Wasserstiefel nachhelfend, dem Gaul das Maul auf, zwängte einen Knüppel zwischen die Kiefer, so daß der Eindruck entstand : das vollständige gelbe Pferdegebiß lacht. Und als der Stauer — jetzt sah man erst, daß der oben kahl und eiförmig aussah — mit beiden Händen hineingriff in den Rachen des Gaules und gleich zwei auf einmal herausholte, die mindestens armdick waren und armlang, da riß es auch meiner Mama das Gebiß auseinander: das ganze Frühstück warf sie, klumpiges Eiweiß und Fäden ziehendes Eigelb zwischen Weißbrotklumpen im Milchkaffeeguß über die Molensteine und würgte immer noch, aber es kam nichts mehr; denn soviel hatte sie nicht zum Frühstück gegessen, weil sie Übergewicht hatte und unbedingt abnehmen wollte, deshalb allerlei Diäten versuchte, die sie aber selten durchhielt — heimlich aß sie — und nur vom Dienstagturnen bei der Frauenschaft ließ sie sich nicht abbringen, auch wenn Jan und selbst Matzerath sie auslachten, wenn sie mit dem Turnbeutel zu den komischen Tunten ging, in blauglänzendem Stoff Keulengymnastik trieb und dennoch nicht abnahm.

Auch damals hat Mama höchstens ein halbes Pfund auf die Steine gespuckt, und sie mochte würgen, soviel sie wollte, mehr gelang ihr nicht abzunehmen. Nichts außer grünlichem Schleim kam — und die Möwen kamen. Kamen schon, als sie anfing zu spucken, kreisten tiefer, ließen sich fett und glatt fallen, schlugen sich um das Frühstück meiner Mama, hatten keine Angst vorm Dickwerden, waren durch nichts zu vertreiben — durch wen auch? — wenn Jan Bronski sich vor den Möwen fürchtete und die Hände vor die schönen blauen Augen hielt.

Aber auch auf Oskar hörten sie nicht, der seine Trommel gegen die Möwen einsetzte und mit Knüppeln auf weißem Lack gegen dieses Weiß wirbelte. Doch das half nichts, das machte die Möwen höchstens noch weißer. Matzerath aber kümmerte sich überhaupt nicht um Mama. Der lachte und äffte den Stauer nach, machte auf starke Nerven, und als der Stauer fast fertig war und zum Abschluß dem Gaul einen mächtigen Aal aus dem Ohr zog, mit dem Aal die ganze weiße Grütze aus dem Hirn des Gaules sabbern ließ, da stand zwar gleichfalls dem Matzerath der Käse im Gesicht, aber die Angeberei gab er dennoch nicht auf, kaufte dem Stauer für ein Spottgeld zwei mittlere und zwei starke Aale ab und wollte den Preis noch nachträglich runterhandeln.

Da lobte ich mir Jan Bronski. Der sah aus, als wenn er weinen wollte, half aber trotzdem meiner Mama auf die Beine, legte ihr den einen Arm hinten herum, hielt den anderen vorne und führte sie weg, was komisch aussah, denn Mama stöckelte in ihren Schühchen mit hohen Absätzen von Stein zu Stein in Richtung Strand, knickte bei jedem Schritt und brach sich dennoch nicht die Knöchel.

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