Meat (23 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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Er sprang wieder auf die Beine wie ein Drillsergeant, der seinen Leuten vorführt, was sie zu tun haben. Bevor Collins sich bewegen und die Lage zu seinem Vorteil nutzen konnte, stand Magnus wieder vor ihm. In der Hoffnung, ihn mit einem Schlag zu erledigen, schwang er mit der Rechten den Nussknacker nach Collins' Kiefer. Wieder war er überzeugt, einen Treffer zu landen, wieder wich Collins, als es längst zu spät dafür schien, die entscheidenden Zentimeter aus. Magnus, nicht mehr in der Lage den Schwung seines Totschlägers abzufangen, torkelte plump hinterher und bot Collins ein weiteres Mal für einen gefährlichen Augenblick seine ungeschützte Flanke dar. Den Effet des Schlages
nutzend, schwang Magnus sich herum und versuchte, mit der Rückhand einen Schwinger auf der anderen Seite von Collins' Gesicht zu platzieren. Collins neigte den Kopf zur Seite, und der Schlag ging ins Leere. Sein Blick schien mit jedem Angriff weicher zu werden. Magnus gefiel die entspannte Ruhe in seinem leeren Gesicht ganz und gar nicht.

»Ich dachte, du wolltest einen blutigen Kampf. Jetzt machst du hier einen auf Blümelein Rührmichnichtan. Was soll das werden, Collins?«

Collins, zuvor so frenetisch und mitteilsam, sagte gar nichts. Magnus sah, dass seine Augen jede Nuance seiner Bewegungen registrierten. Er versuchte ein paar Finten mit der Linken, aber Collins wusste, dass sie ins Leere gehen würden, und blieb absolut regungslos. Seine Passivität erstickte Magnus' Feuer und ersetzte es durch kindliche Frustration. Sie kämpften nicht wie Männer. Sie spielten Fangen.

Magnus visierte seinen Gegner an. Das Einzige, was ihm in diesem Augenblick noch Genugtuung bereitete, war die Tatsache, dass es keinen Zweifel darüber gab, wie es ausgehen würde. Collins hatte nicht die geringste Chance. Nichtsdestotrotz beunruhigte ihn die Gelassenheit des Mannes, und einen Moment lang war er beinahe versucht, Bruno zurückzurufen und Collins' kleiner Vorführung seiner Agilität ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Ihn hier rauszuschaffen und Cleaver zu übergeben. Alles würde dann wieder seinen normalen Gang gehen ― beziehungsweise besser als normal ―, wenn Collins weiter nichts wäre, als eine schreckliche, blutige Erinnerung der Bürger von Abyrne. Schrecklich und blutig genug, ihnen ins Gedächtnis zu rufen, wer in Abyrne das Sagen hatte und sämtliche Gedanken daran zu vergessen, Gottes gesegnetem Geschenk, dem Fleisch, zu entsagen.

Worüber mache ich mir Sorgen? Der Mann hat seit Monaten keine vernünftige Mahlzeit mehr zu sich genommen.

Jeder, der so wenig wiegt, dürfte in der Lage sein, sich ein wenig schneller zu bewegen. Wenn ich ihn kriege, ist er geliefert. Und wenn er sich nicht schnappen lassen sollte, kann ich ihn immer noch Bruno überlassen. Doch vorerst nehme ich die Herausforderung an. Bei Gott, es wird mir eine Freude sein, ihm den einen oder anderen Knochen zu brechen.

Voller Zuversicht holte Magnus aus. Collins duckte sich erneut. Magnus hatte so viel Schwung, dass er das Gleichgewicht verlor. Collins' ungläubiger Blick sagte Magnus, dass er mit einer solchen Möglichkeit nicht so schnell gerechnet hatte. Dann spürte er, wie etwas, gleich einem spitzen Stein, frontal seinen Adamsapfel traf: Collins' knochiger Ellbogen. Es war bereits zu spät, noch zu reagieren.

Der Nussknacker fiel aus Magnus' schlaffen Fingern. Seine linke Hand griff nach seiner Kehle. Er vermochte weder zu atmen noch zu schlucken. Die Blockade war hart wie der Stein einer Pflaume. Er versuchte, nach Bruno zu rufen, brachte aber keinen Laut hervor. In seinem Kopf schrillten Worte der Angst und der Wut, aber er war unfähig, sie zu artikulieren. Er erstickte, während Collins dabei zusah. Obwohl Magnus jedem Angriff schutzlos ausgeliefert war, hatte sich Collins immer noch nicht bewegt.

Das war's also. Der dürre Bastard wird da stehen bleiben und zusehen, wie ich sterbe.

»Vielleicht nehmen Sie mich jetzt etwas ernster«, sagte Collins.

Magnus konnte sehen, dass Collins sein Glück kaum zu fassen vermochte. Er streckte die Hände aus, um Halt zu finden ― aber da war nichts. Er sank auf die Knie, während er in einem letzten, verzweifelten Versuch mit seinen fetten Fingern seine Kehle knetete. Es verursachte nur noch schlimmere Schmerzen. Collins lächelte, und Magnus sah,
wie sich die Anspannung in seinem Gesicht verflüchtigte und echter Erleichterung Platz machte.

»Hat mich trotzdem gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Collins verschwand aus seinem Blickfeld Richtung Fenster und Magnus' Sicht verfinsterte sich.

 

Das Dinos war das Feierabendparadies der Schlachthofangestellten.

Dort war es laut und verraucht, und es wurde scharfer Getreidewodka ausgeschenkt, der Körper und Geist der Fleischhauer, Melker und Viehtreiber entspannte. Einerseits war das Dinos ein ausgesprochen raues Plätzchen, dessen Boden, aufgrund der Trink- und Essgewohnheiten seiner Klientel, mit Sägemehl ausgestreut war. Andererseits verdienten die MFP-Arbeiter so gut, dass ohne die richtigen Kontakte kaum eine Chance bestand, hier reinzukommen. Viele von Abyrnes ledigen Damen kamen ins Dinos, um nach einem solventen und potenziellen Ehemann Ausschau zu halten. Von Siebzehnjährigen bis zu Mittvierzigern kamen sie aus allen Altersstufen. Einige warteten bereits genau die dazwischenliegende Spanne an Jahren. Trotzdem gaben sie ihre Suche niemals auf. Entweder suchen oder an Hoffnungslosigkeit sterben.

Die Band, bestehend aus Fiedel, Gitarre, Flöte und diversen scheppernden Schlaginstrumenten, spielte Polkas. Die Musik klang leiernd und abgenutzt, aber sie ließ die Arbeiter hüpfen und zappeln. Musikinstrumente waren in Abyrne Mangelware. Gut gespielte Livemusik war sogar noch seltener. Innerhalb einer Stunde nach Schichtende war ein Großteil der Gäste damit beschäftigt, tanzend den Dreck vom Boden aufzuwirbeln oder Wodka zu saufen. Der Rest wartete darauf, aufgefordert zu werden. Schlachthofar
heiter warteten auf gesunde junge Frauen ― ebenfalls eine Seltenheit ―, und die Frauen hofften ihrerseits darauf, irgendeinen MFP-Angestellten abzubekommen ― ganz gleich, welchen Alters oder welcher Statur.

Die Melkhilfen beeilten sich, das Dinos zu erreichen, bevor die Turmuhr der Kathedrale zur vollen Stunde geschlagen hatte. Sie wussten nicht, wie empfindlich Torrance auf Säumigkeit reagierte. Auch wenn es außerhalb der Fabrik war. Und keiner von ihnen wollte es herausfinden.

Als sie durch die Eingangstür traten und dem bulligen Türsteher, der sie ohne Reaktion passieren ließ, ihre MFP-Ausweise zeigten, blieben ihnen bis zum verabredeten Zeitpunkt noch einige Minuten. Blinzelnd starrten sie in den Qualm, in die von der Tanzfläche aufsteigende Wolke aus Schweiß, Tabak, Alkohol, Gelächter, Gezeter und Gebrüll. Niemand nahm von ihnen Notiz.

Unschlüssig, was sie tun sollten, folgten sie Parfitt, der begonnen hatte, sich seinen Weg zur Bar zu bahnen. Sie fühlten sich wie Jungs am ersten Schultag. Sie waren nervös, weil sie nicht wussten, was sie erwartete, verängstigt ob der Gefahren, aufgeregt ob der Möglichkeiten. Dies war der letzte Schritt zum Erwachsenwerden, und sie waren dankbar, das Torrance sie »eingeladen« hatte.

Parfitt hätte vor der Bestellung gerne mehr Zeit gehabt, um die kleine Auswahl an Getränken hinter der Bar zu begutachten ― keiner von ihnen hatte zuvor Alkohol getrunken ―, aber einer der Barmänner war bereits auf sie aufmerksam geworden. Er versuchte gar nicht erst, durch den Tumult mit ihnen zu sprechen, sondern gab ihnen mit einem knappen Nicken zu verstehen, dass er bereit war, ihre Bestellung aufzunehmen. Parfitt musste eine Entscheidung treffen und entschied sich für ein Etikett, dessen Aussehen ihm gefiel.

»Vier Bullenziemer«, brüllte er.

»Wo sind deine beschissenen Manieren?«

Der Klang der Worte gefiel Parfitt überhaupt nicht. Er errötete. Aber ihm blieb keine Wahl.

»Bitte.«

Der Barmann grinste. Ihm fehlten sämtliche oberen und unteren Schneidezähne. Er drehte sich um und goss den Wodka in vier patronenförmige Schnapsgläser. Er stellte sie auf die Bar. Die Melkhilfen griffen danach, aber er hob die Hand.

»Einige Worte im Guten, meine Herren. Wenn Sie im Dinos trinken wollen, benehmen Sie sich bitte auch wie Fleischhauer. Ich will damit sagen: Erweisen Sie anderen Respekt, dann wird man Sie mit Respekt behandeln. Kommen Sie niemals hierher, um sich aufzuführen, als wären Sie etwas Besseres. Kapiert?«

Sie drehten sich einander zu, und jedes Augenpaar sprach deutlich: »Müssen wir uns das allen Ernstes gefallen lassen?« Da keiner von ihnen die Antwort wusste, beschlossen sie, dass es nicht wert war, es gleich bei ihrem ersten Besuch auf einen Kampf ankommen zu lassen. Möglicherweise würde es ihnen sonst noch zur Gewohnheit. Speziell Parfitt interessierte sich ohnehin deutlich mehr für den Frauenüberschuss in der Bar.

Verärgert, aber zur Zurückhaltung entschlossen, nickten sie zustimmend.

»Gute Jungs. Das macht dann einen Groschen für die Drinks.«

»Wie viel?«, fragte Parfitt ungläubig.

Der Barmann seufzte lang und leidend.

»Jetzt hört mir mal zu, ihr habt euch den teuersten Drink bestellt, und den müsst ihr bezahlen, alles klar? Die Preise sämtlicher Wodkas werden von den Herstellern, den Getreidebossen diktiert. Auch wenn sie alle mehr oder weniger
gleich nach Pisse schmecken, sind sie doch unterschiedlich teuer. Bestellt euch beim nächsten Mal halt 'nen Prods.«

Der Barmann schenkte ihnen ein letztes, eher spöttisches als wohlwollendes Lächeln und wandte sich dem nächsten Kunden zu. Roach legte eine Hand auf Parfitts Schulter.

»Vergiss es, Alter. Wir sollten uns amüsieren.«

Er erhob sein Glas, und die anderen taten es ihm gleich. »Auf die Auserwählten. Mögen sie uns noch lange mit ihrem Fleisch versorgen.«

Und alle gemeinsam:

»Auf die Auserwählten.«

So wie alle anderen es taten, warfen sie den Kopf in den Nacken und kippten ihre Schnäpse mit einem Schluck herunter. Was sie allesamt auf der Stelle bereuten. Er brannte durch ihre Gurgeln bis in die Mägen herunter, riss ihnen die Kehlen auf und trieb ihnen die Tränen in die Augen. Parfitts Mund füllte sich mit Speichel, während er darum rang, sich nicht zu übergeben. Nach einigen Augenblicken hatte er sich endlich wieder unter Kontrolle. Sie blickten einander an, sahen den gleichen Ausdruck im Gesicht des jeweils anderen, und brachen in Gelächter aus. Das Lachen tat gut. Die Anspannung ließ nach, und sie lehnten sich gegen die Bar und begutachteten ihr neues Territorium.

Parfitt verlor sich eine Zeit lang in dem Treiben, ließ es über sich hinwegspülen und ging ganz darin auf. Das war es, wofür sie arbeiteten. Sie verarbeiteten die Auserwählten und gaben die Früchte ihres Schaffens an die Leute von Abyrne weiter. Dafür wurden sie gut bezahlt und genossen hohes Ansehen. Fleischhauer waren respektierte Mitglieder der Gemeinschaft, eines jeden Distrikts und eines jeden Viertels. Aber erst hier im Dinos erfüllten sich ihre Mühen vollends. Sie betranken sich, sie entspannten sich, sie tanzten, und die Frauen kamen her, um ihnen schöne Augen zu
machen. Das Leben fühlte sich plötzlich ausgesprochen gut an. Und sein Job war zu etwas nutze.

Er wandte sich Roach zu, um ihm mitzuteilen, dass die nächste Runde seine wäre, als sich ihm eine Hand auf die Schulter legte.

Als er sich umdrehte, erblickte er die bullengleiche Gestalt von Bob Torrance. Seine Augen tränten vor Wodka und Lachen.

»Hier lang, Jungs. Kommt und leistet uns Gesellschaft.«

 

Dankbar wegen der Dunkelheit rannte John Collins nackt von Schatten zu Schatten durch die Straßen der Stadt. Es gab nicht genug Gas in Abyrne, um die Straßenbeleuchtung in allen Distrikten mit Energie zu versorgen. Als er sich erst einmal weit genug von Magnus' Anwesen entfernt hatte, war es einfach für ihn, sich an den Mauern entlangzudrücken, lautlos durch enge Gassen zu tappen und Teil der Dunkelheit zu werden. Er war so ruhig und gelassen wie zuvor. Als er Magnus' Wachen passierte, bestand nicht die geringste Gefahr einer Auseinandersetzung. Sie bewegten sich so unvorsichtig und grobschlächtig, dass er weniger als einen Meter von ihnen entfernt vorbeischleichen konnte, ohne dass sie seine Anwesenheit auch nur erahnten.

In Magnus' Arbeitszimmer war er bereit gewesen, zu sterben. Bereit dafür, von Magnus Schlimmeres zu erleiden, als der einem der Auserwählten je zugefügt hatte. Der Kampf. Worum war es dabei gegangen? Irgendwo auf dem Weg dahin hatte Collins seine Absichten geändert. Er musste sich ein genaueres Bild von Magnus machen, lernen ihn besser einzuschätzen, und er musste noch ein wenig länger überleben. Seine Botschaft war noch nicht vollständig übermittelt, und ihm war jetzt klar geworden, dass es noch viel mehr gab, was er tun konnte. War er in dem Arbeitszimmer
seinen Ängsten erlegen? War es der Gedanke an seine öffentliche Demütigung und Zerstückelung gewesen, der in ihm den Wunsch wachrief, seine Mission ― sein Leben ― verlängern zu wollen? Obwohl er überzeugt war, zum Vorteil aller zu handeln, wollte es ihm nicht vollständig gelingen, alle Selbstzweifel zu besiegen.

Dies war Neuland. Lange war er sich seiner Sache sicher gewesen ― und nun das. Vielleicht hatte er sich derartig in Gefahr begeben müssen, um seinem Unterbewusstsein die nächsten Schritte seiner Mission abzuringen. Noch nie hatte er eine seiner Handlungen geplant. Sie begannen als spontane Eingebung und wurden zu inneren Anweisungen, die er nicht ignorieren konnte; Ahnungen, die zu Ideen wurden, die wiederum zu Obsessionen wurden.

Es war kalt in Abyrnes Straßen, aber er spürte es weniger als andere in der Stadt. Gegen die Kälte musste er bloß ein wenig von dem Licht freisetzen, das sich in seinem Inneren konzentrierte.

Jede Behausung, die er passierte, war alt und reparaturbedürftig, selbst in den besseren Vierteln. Es mangelte an Baumaterial, um alles auszubessern. Langsam, aber sicher starb die Stadt ― und niemandem fiel es auf. Selbst die Fürsorge, ja, selbst Magnus und die Getreidebosse, die den Fleischbaron unterstützten, glaubten, Abyrne würde auf immer fortbestehen, und an ausreichend Nahrung für alle würde es niemals mangeln. Aber die Ödnis wuchs, oder, um es treffender zu formulieren, die Stadt schrumpfte. Jedes Jahr drang die Ödnis weiter in die kulturfähigen Ländereien vor, und jedes Jahr verlagerten die Bosse ihre Felder weiter ins verfallene Viertel und pflügten Land um, auf dem einst Wohnblöcke und Häuser standen. Das verfallene Viertel war riesig, aber die Landnahme konnte nicht auf ewig weitergehen. Es war an der Zeit, dass die Bürger der Stadt
einen neuen Weg beschritten. Die Botschaften des Buchs des Gebens und des Abdominalpsalters waren nicht nur bloß falsch und verderbt. Sie waren selbstmörderisch.

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