Meat (20 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»Ich bezahle den Preis«, sagte Collins. »Und wie ich es vorher Tausenden von Leuten gesagt habe: Ich zahle ihn gerne. Ich habe jahrelang Fleisch gegessen, Mr. Magnus. Ich aß es noch lange, nachdem ich mein Elternhaus verlassen hatte. Aber ich hörte nie auf, darüber nachzudenken, wo es herkommt. Der Gedanke, dass daran, wie wir unser Essen bekommen, irgendetwas nicht stimmt, ließ mich nie los. Wir haben über die Auserwählten, Gottes geheiligtes Geschenk an uns, in der Schule gesprochen. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen und uns schien offensichtlich zu sein, aber die Lehrer und die Pastoren thematisierten ausschließlich die Unterschiede: ihre Haarlosigkeit, die deformierten
Hände und Füße, ihre Unfähigkeit, mit uns oder untereinander zu kommunizieren. Ich dagegen hatte immer meine Zweifel. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese bis zu einem gewissen Zeitpunkt jeder hat, bevor er die Zweifel für immer unter den Wörtern des Buches begräbt. Ich begann, darüber nachzudenken, wie die Futtergründe und die Fabrik wirklich sind. Was natürlich nicht einfach ist, denn es ist nahezu unmöglich, Informationen darüber zu bekommen, was mit den Auserwählten geschieht. Derartige Informationen sind nicht verfügbar. Also musste ich mich erst einmal damit begnügen, mir alles vorzustellen.

Also führte ich mir vor Augen, dass man jemanden töten muss, um Fleisch herzustellen. Ich habe keine Ahnung, warum ich so lange gebraucht habe, diese simple Tatsache zu begreifen. Man muss dieses Lebewesen aufziehen, füttern, züchten und mästen. Dann muss man eine Methode finden, es zu töten und zu zerlegen. Ich habe mich lange gefragt, wie das wohl geschieht. Wie tötet man? Benutzt man ein Messer? Einen Knüppel? Die bloßen Hände? All das konnte ich nur mithilfe meiner Vorstellungskraft herausfinden.

Ich nahm einen Job im Gaswerk an, wo die Exkremente und Innereien der Auserwählten lastwagenweise angeliefert wurden. Nach ein paar Wochen realisierte ich, wie viele Lebewesen täglich sterben mussten, um diese Mengen an Abfall und Eingeweiden zur Gewinnung von Methan zu produzieren. Ich versuchte, es hochzurechnen. Es gelang mir nicht. Mir wurde übel davon, Mr. Magnus. Ich musste mich übergeben, wenn ich an die Berge von Toten dachte, deren Scheiße und Gedärme Teile unserer Stadt mit Elektrizität versorgten.

Eines Tages kam ich im verfallenen Viertel mit einem Betrunkenen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass es ein ehemaliger Fleischhauer war. Er erzählte mir, was bei MFP
wirklich geschah. Erzählte mir alles, was man darüber wissen muss und wie Sie Ihre Geschäfte führen, Mr. Magnus. Das war der Tag, an dem ich begann, nach einem anderen Weg zu suchen.

Als Erstes hörte ich damit auf, Fleisch zu essen. Das war nicht einfach. Es gibt so wenig anderes in der Stadt zu essen. Der Großteil des Getreides, das wir produzieren, wird an die Auserwählten verfüttert. Man könnte Gemüse bekommen, aber die Metzger verkaufen es als Garnitur fürs Fleisch. Ein paar grüne Bohnen und ein Kartöffelchen zum Steak, ein Blatt Kraut zum Kotelett, Zwiebeln zur Leber, etwas Petersilie, um die Pastete zu dekorieren. Der mühevolle Versuch, genügend Gemüse für eine Mahlzeit zusammenzubekommen, würde sofort die Pastoren der Fürsorge auf den Plan rufen. Es dauerte Monate, genügend Saatgut und Setzlinge für meinen eigenen Garten zu sammeln. Aber es gibt Quellen. Orte, an die man gehen kann. Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele Städter Gemüse lieber mögen als Fleisch, Mr. Magnus. Auch wenn sie es in Gegenwart von Vertretern der Obrigkeit niemals zugeben würden, vermutlich noch nicht einmal gegenüber Mitgliedern ihrer eigenen Familie. Aber sie sind da draußen. Und es gibt sogar Vegetarier. Menschen, die aus den bewohnbaren Vierteln verschwunden sind und sich in den verfallenen Teil der Stadt begeben haben, um den Rest ihres Lebens ohne ein einziges MFP-Produkt auf ihrem Speiseplan zu verbringen. Es sind schweigsame, zurückgezogene Menschen, Mr. Magnus, Menschen wie ich. Aber sie genießen die einfachen Freuden. Man kann es in ihren Augen lesen. Sie strahlen ein Gefühl der Befreiung aus. Als wäre das Opfer, das sie brachten, indem sie ausstiegen, es wert. Diese Leute hießen mich willkommen. Die wahren Bürger dieser Stadt. Sie haben die Normen des Buches des Gebens durchschaut.«

Hmmm, dachte Magnus. Ich werde meinen Spaß dabei haben, dir ihre Aufenthaltsorte zu entlocken, bevor du stirbst. Beinahe huschte ein Lächeln über seine Lippen, aber Collins schien es nicht zu bemerken.

»Unter ihnen gab es einen sehr alten Mann. Es lässt sich nicht überprüfen, aber er erzählte, er sei hundertelf Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines männlichen Einwohners von Abyrne liegt bei, wie viel, fünfundvierzig Jahren? Fünfzig?

Magnus zuckte mit den Achseln, sagte aber nichts.

»Ich habe niemals jemanden getroffen, weder Mann noch Frau, der die sechzig erreichte. Und Sie? Das hat einen einfachen Grund: Fleisch macht krank. Das Fleisch der Auserwählten ist giftig. Es vom Speiseplan zu nehmen, sorgt für ein längeres, gesunderes Leben. Stellen Sie sich vor, Sie würden doppelt so lang leben, wie wir es jetzt tun, Mr. Magnus. Einfach nur, indem Sie eine Zutat von Ihrem Speiseplan streichen.«

Magnus blies Rauch in die Luft und entgegnete:

»Pass mal auf, Collins, erzähl doch einfach die Scheißgeschichte. Verschon mich bitte mit so gruseligen Verkaufsgesprächen. Ich bin der Hersteller, der Verarbeiter, der Vertreiber und der Verkäufer. Du bist bloß das Produkt. Wenn es etwas zu verkaufen gibt, erledige ich das. Oder anders ausgedrückt: Ich bin der Fleischer, und du bist das Fleisch. Du würdest gut daran tun, dir das zu merken.«

»Sie haben nach den Details verlangt, und ich gebe sie Ihnen: Fleisch von Ihrem Speiseplan zu streichen, ist der natürlichste Weg, Ihr Leben zu verlängern.«

»Deines hat es nicht verlängert«, lachte Magnus.

Mit der Andeutung eines Nickens gestand Collins ihm diesen Punkt zu und fuhr fort.

Ȇber seine langen Jahre im Exil hatte dieser alte Mann
vieles gelernt. Anfangs war es für ihn noch wesentlich härter, ohne Fleisch zu überleben. Er verbrachte lange Zeit am Rand zum Verhungern. Das Fasten war nicht geplant, aber er stellte fest, dass es ihm so einiges an Wissen und Weisheit einbrachte. Er fand heraus, dass durch den Verzicht ― nicht nur, was den Verzehr von Fleisch, sondern was jegliche Nahrungsaufnahme anbetraf ― sein Hirn anders zu arbeiten begann und er völlig neue Bewusstseinsebenen erreichte.«

»Du meinst, er wurde verrückt vor Hunger«, sagte Magnus. Und freute sich diebisch über jede Unterbrechung.

»Selbstverständlich müssen Sie es so sehen. Sie wissen es nicht besser, wie könnten Sie auch? Aber Ignoranz ersetzt keine Erfahrungen, Mr. Magnus. Es ist kein Ausgleich für hart erkämpftes Wissen. Ich bin mir sicher, dass Sie mir zustimmen.«

»Niemand hat es jemals gewagt, so mit mir zu sprechen, Collins. Und wenn ich mit dir fertig bin, garantiere ich, wird das auch niemals wieder jemand tun. Dafür Sorge zu tragen, dass du in die >Geschichte< eingehst, dürfte sich für meine Zwecke als außerordentlich nützlich erweisen. Ich werde der Fürsorge vorschlagen, im Buch des Gebens niederzuschreiben, was dir widerfahren ist. Damit deine Geschichte niemand mehr vergisst. Scheiße, sie können mich gleich mit verewigen. Ich gebe den unbarmherzigen König und du meinen vom rechten Weg abgekommenen Untertan. Die Sage wird bis in alle Ewigkeit als Parabel für die Törichten dienen. Als Beispiel für das, was geschieht, wenn man die Mächtigen geringschätzt.«

»Sie wird ein ähnlich gutes Märchen abgeben, wie der Rest des Buches.«

»Bring deine Geschichte zu Ende, Collins, aber mach schnell. Ich werde ungeduldig.«

»Da gibt es nicht mehr viel zu berichten. Der alte Mann...«

»Wie lautet der Name dieses alten Mannes?«

»Das ist nicht von Belang.«

»Für mich ist es von Belang.«

»Der Mann ist längst tot, Mr. Magnus. Er stellt keine Gefahr mehr für Sie dar.«

»Verhungert, richtig?«

»Wohl kaum. Er ist friedlich entschlafen. Im Alter von hundertsiebzehn Jahren.«

»Ich will seinen Namen.«

»Nein.«

Magnus fletschte die Zähne.

»Du wirst dir wünschen, du wärest im Schlaf gestorben, Collins«, sagte er.

Collins nickte.

»Ich weiß.«

Einen Moment lang dachte Magnus, dass Collins verängstigt aussähe. Doch in Wahrheit war es nicht annähernd so befriedigend. Es war Resignation. Akzeptanz. Der Mann war ihm deutlich zu gelassen. Plötzlich kam Magnus der Gedanke, dass es unter Umständen einen handfesten Grund für diesen Gleichmut gab. Hatte Collins einen Plan? War es möglich, dass er sich auf eine Gruppe dürrer vegetarischer Aktivisten stützte? Ergebene Leute, die bereit waren, für ihren Anführer zu kämpfen und zu sterben ― so wie die Wachen und Schläger in Magnus' Diensten? Das wäre ungeheuerlich. Aber vielleicht war es wahr. Es würde zumindest eine Menge über Collins' Verhalten aussagen. Möglicherweise gab es ein Signal, auf das seine magenknurrenden Gefolgsleute warteten. Eines, das etwas mit dem Kampf zu tun hatte, den er forderte. Gezwungenermaßen unterzog er Collins' Gestalt einer erneuten Inspektion. Was, wenn Col
lins ihm aus genau diesem Grund die Möglichkeit gegeben hatte, ihn so widerstandslos festzunehmen?

Magnus versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Wenn sich außerhalb des Anwesens ein Mob versteckt hielt, dann musste er ihn unter Kontrolle bekommen, bevor sie ausnutzten, dass er völlig unvorbereitet war. Verdammt, wie konnte er so dumm gewesen sein? Er hatte seinen Feind unterschätzt. Das würde das erste und das letzte Mal bleiben, das ihm das passierte. Nie wieder. Keine geselligen Schwätzchen mehr. Keine Diskussionen. Collins war der Letzte, der dieses Vergnügen hatte. Aber es gab immer noch eine Kleinigkeit, die er wissen wollte.

Er nahm eine kleine Messingglocke von seinem Schreibtisch und schüttelte sie zwischen den fetten Fingern. Ihr Klingeln war klar und durchdringend. Sekunden später hörte man erst stampfende Fußschritte auf der Treppe, dann, lauter, draußen im Flur, und schließlich platzte Bruno keuchend in den Raum.

»Alles in Ordnung, Sir?«

»Bestens, Bruno, alles bestens. Ich frage mich, ob du wohl die Vorhänge für mich schließen könntest?«

»Sir?«

»Die Vorhänge, Bruno. Es wird dunkel, und ich mag es nicht, wenn nach 18 Uhr die Vorhänge noch offen sind.« »Selbstverständlich Sir, Juster ...«

»Juster bereitet gerade den Tisch im Esszimmer. Schließ die verdammten Vorhänge ...«

»Selbstverständlich.« Bruno rannte von einem der drei Fenster zum nächsten und zog die schweren staubigen Portieren zu. »Sonst noch etwas, Sir?«

»Ja, komm her.«

Bruno kam die Stufe herauf und trat an Magnus' Sessel. Magnus winkte ihn näher heran und machte ihm gestikulie
rend deutlich, dass das Folgende nicht für fremde Ohren bestimmt war. Bruno beugte sich mit dem Ohr zu Magnus' Lippen herunter und nahm nickend seine Befehle entgegen.

»Und, Bruno«, flüsterte Magnus, »so leise du kannst, mein Sohn.«

Bruno nickte noch einmal und verließ den Raum, ohne Collins eines Blickes zu würdigen.

»Ist irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte Collins.

»Nur für dich, Söhnchen. Nur für dich. Warum bringst du deine Geschichte nicht zu Ende?«

 

11

 

Sein Kopf vermochte sein Wissen zu verbergen, sein Körper konnte es nicht. Es wurde immer härter, die Auserwählten ausbluten zu lassen, sie zu entdärmen, entbeinen oder zu zerlegen. Aber er konnte es verstecken, wenn er weiter hinten an der Straße arbeitete, denn dann hatte er das Töten hinter sich. Am Bolzenschussgerät war es jedoch unmöglich, seine Zweifel zu kaschieren. Sie offenbarten sich nicht in seinem Gesicht, seinem Auftreten oder darin, wie er mit seinen Kollegen sprach, aber sie offenbarten sich. Und es war unmöglich, etwas dagegen zu tun. Wenn das vertraute Gebrüll von Torrances stählernem Hochstand ertönte, wollte Shanti im Boden versinken.

»Produktionsrate, bitte!«

Er bemühte sich, möglichst gelassen zu antworten. »Eins achtzehn.«

»Wiederhol das bitte, Eispickel.«

»Eins achtzehn.«

In der darauffolgenden Stille konnte er Torrance denken hören. Der nächste Befehl galt den Sortierern, die die Auserwählten durch die Sammelpferche trieben.

»Vorwärts, Leute, macht dem Vieh Beine. Rick steht hier rum und hatte keine Schädel zum Durchlöchern.«

Einer von ihnen brüllte zurück:

»Hier läuft alles wie geschmiert, Sir.«

»Eispickel, wo liegt das Problem?«

»Es gibt kein Problem, Sir.«

»Warum geht's dann nicht schneller voran?«

»Ich dachte, das tut es. Ich bring uns so schnell es geht wieder auf eins dreißig.«

Torrance brüllte nicht mehr zurück, also nahm Shanti an, er sei beruhigt. Doch etwas im Schweigen des Mannes beunruhigte ihn. Es war nicht bloß die geringe Produktionsrate ― das passierte jedem hin und wieder. Ein Austag war ein Austag. Aber Torrance hatte ständig zu ihm herübergesehen. Nicht argwöhnisch, aber öfter als gewohnt. Er hatte ihn im Blick, beobachtete ihn. Vielleicht wusste er etwas. Wenn das der Fall sein sollte ― so viel war Collins klar ―, dann waren seine Tage bei MFP gezählt.

Er biss die Zähne zusammen. Die Zugangsklappe öffnete sich. Er zögerte nicht. Zum Ende der Schicht waren sie wieder auf eins achtundzwanzig. Gut genug, sich Torrance vorübergehend vom Hals zu halten. Mehr aber auch nicht.

 

»Es ist ganz simpel. Der alte Mann hatte so allein im verfallenen Viertel genug Muße, sich seine Gedanken über Essen und das Überleben zu machen. Er begriff, dass es ―rein theoretisch ― keinen Unterschied machte, ob man Gemüse schnitt und aß oder Fleisch. So oder so beendete man das Leben des Wesens, das man vertilgte. Im Gegensatz zu den Fleischessern in der Stadt vermochte er die Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Er hatte gelernt, sie anders zu sehen. Er stellte sich die Frage, ob es möglicherweise einen Weg gab, zu überleben, ohne Leben zu vernichten. Er experimentierte mit Gebet, Meditation und Leibesübungen und entwickelte ein elementares System, den Körper nur mittels Licht und Atemtechnik zu ernähren.«

»Einen Moment«, unterbrach Magnus, »willst du mir erzählen, dass er alles ignorierte, was im Buch des Gebens ge
schrieben steht, aber trotzdem noch betete? Zu wem denn bitte, verdammte Scheiße?«

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