Meat (42 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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Durch rot geäderte Augen starrte Magnus seine Männer an. Der Nussknacker baumelte wieder von seiner Hand.

»Warum muss ich letztlich immer alles selbst machen«, sagte er, »wenn ich euch bitte, etwas für mich zu erledigen?« Er erwartete keine Antwort und bekam auch keine. »Schließt Shanti weg, bis ich bereit bin, ihn zu sehen.« Er sah über das Geländer zu der bewegungslosen Wache. »Wer ist das da unten?«

duster, Sir.«

»Wenn er tot ist, begrabt ihn. Nein, wartet, sagtest du Juster? Der Arsch des Mannes hat mir immer schon gefallen. Sagt Cleaver, er soll mir ein paar Rumpsteaks daraus schneiden. Dann könnt ihr ihn verscharren. Und erledige wenigstens das ordentlich. Oder ich krall mir deine Eier.«

Magnus drehte sich um und ging zurück in Richtung Schlafzimmer. Er war müde, und das Verlangen, sich um die Mädchen zu kümmern, hatte sich verflüchtigt.

»Sir?«

Magnus wartete.

»Was zur Hölle ist jetzt noch?«

»Was ist, wenn Juster nicht tot ist? Sollen wir den Doktor kommen lassen?«

Er drehte sich erneut zu ihm um.

»Wenn Juster sich von Shanti hat vorführen lassen, ist er so gut wie tot. Sag Cleaver, er soll ihn mir fertig machen. Entweder auf die eine oder auf die andere Art.«

Zurück in seinem Zimmer setzte er sich erschöpft auf die Truhe. Am Fenster war nichts mehr von den Mädchen zu sehen. Er stand auf und blickte sich im Raum um. Sich selbst dafür verfluchend, dass er die Türe hatte offen stehen lassen, hob er die Bettwäsche an und sah unter dem Bett nach. Nichts. Dasselbe in den Schränken. Er klingelte nach den Dienstmädchen und hörte sie die Treppe herauf
hetzen. Seine grausamen und unberechenbaren Launen waren schlimmer geworden. Das war ihm sogar selbst schon aufgefallen. Nun war jedermann in seiner Umgebung übernervös, um auch ja sofort zur Stelle zu sein, wenn er nach ihnen verlangte. In der Türe erschienen zwei abgespannt und ängstlich wirkende Dienstmädchen.

»Meine Baby-Liebesdienerinnen sind irgendwohin abgehauen. Sie können noch nicht weit sein. Ich möchte, dass ihr das gesamte Haus auf den Kopf stellt. Und sorgt dafür, dass alle anderen das Grundstück durchkämmen. Aber haltet sämtliche Außentüren verschlossen. Schlimmstenfalls schlagen sie sich nach Hause durch, und wir kassieren sie dort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich allzu weit von Mami und Papi entfernen werden.«

Die Dienstmädchen betraten das Schlafzimmer und begannen in den Schränken und unter dem Bett nachzusehen.

»Nicht hier, ihr dummen Fotzen. Ich hab schon alles durchsucht. Ich werde mir jetzt eine Mütze Schlaf gönnen, und ich möchte nicht mehr gestört werden, bis ich entweder wach werde oder Bruno mit Collins zurückkehrt. Los, los, verpisst euch.«

Er ließ sich auf das Bett fallen und deckte sich zu. Als die Tür zugezogen wurde, war er schon nicht mehr bei Bewusstsein.

 

24

 

Auf ihrem Marsch zu den und durch die Katakomben, war es ihm irgendwie gelungen, die aufsteigende Panik unter Kontrolle zu halten. Nun aber, während sie zurückmarschierten, brach sie sich ― befeuert von den schlimmsten Befürchtungen und Vorahnungen ― erneut Bahn. Warum war Collins nicht dort, wo er sein sollte? Das bereitete ihm die größten Bauchschmerzen.

Das andere Problem, das ihn beschäftigte, war, mit leeren Händen zu Magnus zurückzukehren. Im Laufe der letzten Wochen ― ziemlich genau seit dem Zusammenstoß mit Collins und dem Blackout, den er in der Folge des Kampfes mit dem ausgemergelten Irren erlitten hatte ― hatte sich Magnus' Verhalten beständig verschlimmert. Er war immer schon ein Mann gewesen, dessen Machtanspruch auf roher Gewalt basierte. Das war jedem bewusst, und nur so war es ihm gelungen, die Stadt beständig in seinem Würgegriff zu halten. Aber seit dem Zwischenfall mit Collins hatte sich Magnus, selbst nach Brunos Maßstäben, nicht unbedingt zu seinem Vorteil entwickelt. Es war nicht mehr einfach, ihn zu respektieren.

Dass Magnus an
Dem Zittern
erkrankt war, war nur allzu offensichtlich. Für einen Mann wie Collins war jetzt der perfekte Zeitpunkt gekommen, dem maladen Fleischbaron die Kontrolle zu entreißen. Sollte es dazu kommen, wer könnte dann schon noch sagen, was die Zukunft für Bruno oder die Stadt bereithielt?

Bruno war sieben Jahre lang Magnus' persönlicher Leibwächter und Anführer seiner Armee gewesen. Wie sein Boss ihn behandelte, hatte ihm nicht immer gefallen, aber am Ende jedes Tages war er sich immer bewusst gewesen, dass es keine sicherere Position in Abyrne gab ― außer man hieß Rory Magnus.

Jetzt war alles anders. Magnus war krank und wahnsinnig genug, jeden seiner Leute, inklusive seiner engsten Vertrauten, zur Hölle zu schicken. Wenn Bruno ohne Collins zum Anwesen zurückkehrte, noch dazu ― ohne dass er es entschuldigen könnte ― mit einem Mann weniger, würde Magnus verdammt aufgebracht sein. Zum ersten Mal in seiner Karriere dachte Bruno darüber nach, seine Gefolgschaft zu kündigen und sich neue Verbündete zu suchen. Aber wen? Die Fürsorge? Ein solches Leben würde er niemals führen können. Er verabscheute Gebete, Kirchen und Rituale. Er konnte sich nicht vorstellen, im Namen eines Gottes, den er nicht verstand und an den er nicht glaubte, auf Sex oder sonst irgendetwas zu verzichten. Wer blieb da noch? Der wahnsinnige Prophet John Collins mit seiner halb verhungerten Bande von Eiferern?

Es gab sonst niemanden, dem er sich anschließen konnte ―von den Getreidebossen mal abgesehen. Aber würden die ihm angesichts seines bisherigen Arbeitgebers vertrauen und nach alldem, was er getan hatte, um zu verhindern, dass sie zu mächtig wurden? Er bezweifelte es.

Die Lawine von Fragen und Ängsten überrollte ihn, während er seine Männer zurück durch das verlassene Viertel führte. Inzwischen waren die meisten von ihnen auf dem unebenen Boden so übel gestürzt, dass sie sich zahlreiche Prellungen, Schnitt- und Schürfwunden zugezogen hatten. Sie waren müde vom Rennen und nach dem unerfüllten Adrenalinrausch in den Tunneln abgespannt und ermattet.

Wenn sie jetzt angegriffen würden, konnte er sich nicht einmal darauf verlassen, dass sie die Reihen halten würden.

Bevor sie die Hochhausblocks erreichten, sah er etwas Rotes aufblitzen. Er sah die Mäntel und Roben von Pastoren. Zuerst hielt er es für einen Hinterhalt, da die Gestalten auf dem Boden ausgestreckt lagen. Erst nachdem er die über das gesamte Areal verstreuten Knochenkeulen bemerkt hatte, war ihm klar, dass es keiner sein konnte. Als er sich vorsichtig näherte, sah er, dass die Soutanen tatsächlich weiter nichts als Soutanen waren ― bloß die leeren Hüllen von Pastoren. Man hatte ihnen die Uniformen ausgezogen und sie auf dem Boden ausgelegt. Das ganze Spektakel war sorgfältig arrangiert.

Was, zur Hölle, sollte das?

Seine Männer erblickten die Uniformen ebenfalls und erstarrten. Jemand hatte die roten Roben ganz bewusst in Posen angeordnet, die sie aussehen ließen, als wären es in der Schlacht gefallene Männer. Wer war für dieses Blendwerk verantwortlich? Die Fürsorge? Wollten sie ihm und seinen Männern vorgaukeln, die Pastoren wären von einer anderen Streitmacht angegriffen worden? John Collins, der ihm und seinen Männern eine Nachricht zukommen ließ?

Einige Minuten lang war Bruno tatsächlich überzeugt, dass es ein abgekartetes Spiel sei. Er ging zwischen den Soutanen herum und untersuchte sie.

»Was ist das hier, Sir?«

Bruno hielt eine Robe in der einen und einen beinernen Totschläger in der anderen Hand.

»Ich weiß es nicht.«

Wenn hier eine Schlacht stattgefunden hätte, müssten auf den meisten Knüppeln Blutspuren zu finden sein. Aber da war nichts. Hatte es überhaupt eine Schlacht gegeben? Oder sollte es tatsächlich so sein, dass die Pastoren nieder
gemacht worden waren, bevor sie nur einzigen Schlag gelandet hatten? Als Bruno sich ins Gedächtnis rief, wie ein einziges, halb verhungertes Fliegengewicht von einem Mann den Giganten von seinem Boss bezwungen hatte, wusste er plötzlich tief in seinem Innersten, was hier vor sich ging. Dieses Scharmützel, wenn man es denn überhaupt so nennen konnte, hatte stattgefunden. Lange bevor er und seine Männer auch nur einen Fuß ins verlassene Viertel gesetzt hatten. Collins und seine Anhänger hatten es so lange vor ihnen verborgen gehalten, bis ihnen der richtige Zeitpunkt gekommen schien, es ihnen zu offenbaren. Deshalb war niemand in den Tunneln.

Sie waren anderweitig beschäftigt gewesen.

»Das hier ist weiter nichts, als eine Botschaft an uns«, sagte er. Und in Gedanken fügte er hinzu:
und eine Warnung.
»Wir müssen zurück zum Anwesen. Sofort.«

Er ließ die Relikte des Kampfes fallen und begann zu laufen. Er betete, dass Collins und seine Leute nicht so rennen konnten wie Richard Shanti.

 

Die schmalen, kleinen Körper eng aneinandergepresst, kauerten die Mädchen in völliger Dunkelheit. Da sie nicht zu sprechen wagten, flüsterten sie sich bloß ― kaum lauter als ein stiller Atemzug ― ab und an etwas ins Ohr. So sehr sie sich auch vor jenem Augenblick ängstigten, in dem man sie entdecken und das hereinfallende Licht sie preisgeben würde, so empfanden sie in der beengenden Dunkelheit dennoch ein Gefühl der Geborgenheit. Früher war immer nur eine von ihnen eingeschlossen, und es war bloß ein spielerischer Wettstreit. Nun waren sie beisammen, waren enger zusammengepfercht und hatten bereits weitaus länger durchgehalten, als je zuvor. Wenn sie dieses Spiel gewinnen wollten, mussten sie zusammenhalten.

In der Dunkelheit war ihnen jegliches Zeitgefühl abhandengekommen. Es schienen Stunden vergangen zu sein, seit das Rufen, das Türenknallen, Trampeln und Fußgetrappel der Leute, die nach ihnen suchten, verklungen war. Dies waren die schlimmsten Momente gewesen: zu wissen, dass sie jeden Moment entdeckt werden könnten. Also lauschten sie voller Panik nach dem geringsten Anzeichen darauf, ob ihre Häscher womöglich näher kamen oder sich entfernten.

Und dann war da dieses knurrende, brummende Geräusch. Zuerst dachten sie, es wäre der haarige Mann, der zurückkam, um sie zu schnappen. Aber das Brummen hörte und hörte nicht auf und entfernte sich auch nicht mehr. Selbst jetzt konnten sie es noch hören. Jemand war da draußen, ganz nah bei ihnen. Deshalb war es unmöglich, ihr Versteck zu verlassen, ohne gesehen oder gefangen zu werden. Sie mussten warten. Sobald das Knurren aufhören und wieder Schritte erklingen würden, die sich zur Türe bewegten, war ihr Moment gekommen.

Sie hatten sich längst geeinigt, was sie dann als Nächstes tun würden. Es war sehr einfach. Sie würden aus dem Haus rennen und sich hinter den Bäumen und Sträuchern verstecken. Und jedes Mal, wenn sie sich erfolgreich versteckt hatten und die Leute sie nicht fanden, würden sie zum nächsten rennen, dann wieder zum nächsten Busch und so immer weiter, bis sie schließlich ihr Zuhause erreichten. Dort wären sie in Sicherheit. Und Mama und Papa würden nach Hause kommen und sie wieder liebhaben.

In völliger Dunkelheit hielten sie sich eng umschlungen.

»Bald«, wisperte Hema Harsha zu.

»Bald«, antwortete ihre Schwester.

 

Die Zelle in Magnus' Anwesen war deutlich schlimmer als jene, in der die Fürsorge ihn eingesperrt hatte.

Als er erwachte, gab es kaum einen Teil seines Körpers, der nicht höllisch schmerzte, und es roch nach Kot und Urin. Er versuchte, sich aufzusetzen und stieß sich dabei die Stirn an hartem Holz. Erneut wurde ihm schwarz vor Augen, und Sterne tanzten durch die Nacht. Sein Kopf drohte zu zerspringen. Er ließ sich wieder auf den Rücken fallen und begann, seine Umgebung mit den Händen zu erkunden. Die Zelle glich eher einem Sarg als einer Kammer. Sie war etwa zwei Fuß tief, sieben Fuß lang ― so dass er sich zumindest zu seiner vollen Körperlänge ausstrecken konnte ― und drei Fuß breit. Was auch immer er probierte ― aufstehen war absolut unmöglich.

Er stellte sich vor, wie die Prellungen und Blutergüsse an den knochigen Stellen seines Körpers explodierten, während er darauf wartete, dass Magnus ihm den Garaus machte. Vielleicht war Magnus so rasend vor Wut, dass er ihm sein Ende ― oder zumindest seine Befreiung aus dieser Kiste ― schneller als erwartet zugestehen würde. Im nächsten Augenblick überwältigte ihn die Scham darüber, dass seine ersten Gedanken ihm selbst und nicht Hema und Harsha galten, die vermutlich längst ihrem schrecklichen Schicksal ins Auge blickten.

Er hatte alles getan, was er für sie tun konnte. Vielleicht wäre es mit etwas mehr Zeit, der Chance sich Verbündete zu suchen, anders ausgegangen. Aber was geschehen war, konnte er nicht mehr ändern. In der Kiste ― vielleicht war dieses Verlies ja bereits Magnus' Methode, sich ihn vom Hals zu schaffen ― war er mit seinen Erinnerungen und Ängsten allein. Seine Verzweiflung wuchs. Wenn er doch nur irgendwie hier herauskommen könnte. Möglicherweise gelänge es ihm dann ja doch noch einen Weg zu finden, zumindest jene Qualen von seinen Mädchen abzuwenden, von denen sie sich ihr Leben lang nicht mehr erholen würden.

Mit weniger Wachen im Haus und auf dem Grundstück hätte er unter Umständen sogar die Gelegenheit, Magnus selbst zu erledigen.

Diese Gedanken trieben ihn in den Wahnsinn.

Aber er war noch nicht bereit, aufzugeben. Er war noch am Leben. Das bedeutete, es gab immer noch eine Chance. Wenn auch nur darauf, seine Töchter noch ein letztes Mal zu sehen. Ihnen zu sagen, dass er sie liebte, sich zu entschuldigen und sich von ihnen zu verabschieden. Welch erbärmliche Hoffnung. Wie diese Stadt ihn pervertiert und gebrochen hatte. Was für ein verdorbenes und böses Leben er geführt hatte. Ganz gleich, was er alles versucht hatte, um seine Sünden zu büßen, ganz gleich, wie sehr er sich bemüht hatte, Körper und Seele zu reinigen, er hatte endlose Verbrechen begangen und nichts als Unheil und Verderben über seine Familie gebracht.

Erneut realisierte er, dass derartige Gedanken tödlich waren.

Bloß einen einzigen Lichtblick, ein einziges Manifest des Guten hatte es in dieser verderbten Stadt gegeben. Einer einzigen reinen Seele war es gelungen, einen Schimmer der Hoffnung zu verbreiten: John Collins. Prophet John. Der Mann, der ihm gezeigt hatte, dass Wunder geschehen konnten. Dass es für jene, die mitfühlend und leidenschaftlich genug waren, sie zu beschreiten, andere Wege gab, ihr Leben zu führen. John Collins' Lehren widersprachen jedem gesunden Menschenverstand, aber Shanti glaubte daran. Tatsächlich definierte »glauben« es nicht einmal annähernd:
Sein ganzer Körper
wusste, dass, was John Collins lehrte, die reine Wahrheit und absolut möglich war. Er wusste es, weil er selbst die gleiche Reise angetreten hatte ― und es hatte ihn nicht umgebracht. Seit vielen Tagen hatte er außer Luft und Licht nichts mehr zu sich genommen, und er
war gesünder und stärker, als er es jemals gewesen war. Er hatte im Spiegel gesehen, dass er, seit er aufgehört hatte, Reis und Gemüse zu essen, nicht nur nicht abgemagert, sondern ― ganz im Gegenteil ― noch kräftiger geworden war. Nicht viel, aber genug, um es zu sehen. Seine Muskeln waren gewachsen, seine Brust war breiter geworden, und seine Lungen fassten mehr Luft. John Collins hatte einmal gesagt, dass eines Tages, wenn die Menschen genügend Wissen und Hingabe erlangt hätten, selbst die Notwendigkeit zu atmen der Vergangenheit angehören würde. Dass die Menschen dann lernen würden, zu verstehen, dass sie unsterblich seien. Sie würden begreifen, dass sie dieses Potenzial ―ohne es zu bemerken ― immer schon besessen hätten.

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