Hard Man (19 page)

Read Hard Man Online

Authors: Allan Guthrie

BOOK: Hard Man
7.67Mb size Format: txt, pdf, ePub

»Ich sollte dir die Scheiße aus dem Leib prügeln, Pearce«, sagte Wallace, knipste das Licht aus und sprach ins Dunkle hinein. »Ich bin gleich wieder da.«

 

Jesus zitterte.

Wallace war zurückgekommen wie versprochen und kauerte nun hinter Pearces Bank. Jesus konnte nicht sehen, was er machte, aber er konnte das Kratzen einer Säge auf Holz hören und wusste, dass er bald hören würde, wie Nägel sich hineinbohrten. Wallace war gerüstet. Hatte keinen Hammer bei sich. Jesus hatte gesehen, dass er eine Nagelpistole mitgebracht hatte. Schwarze und gelbe Streifen. Ein riesiges wespenartiges Ding mit einem Riesenstachel am Ende. Jesus hatte gedacht, sich mit seinem Schicksal schon lange abgefunden zu haben, aber jetzt spürte er ein kurzes Brennen im Penis und ein warmes Rinnsal am Oberschenkel und erkannte, dass es wohl doch nicht so war. Eine beschissene Nagelpistole.

Die Sägerei dauerte nun schon etwa eine Viertelstunde, was ihm lächerlich lange vorkam. Aber sicher war sich Jesus nicht. Es konnten ein paar Minuten oder eine halbe Stunde sein. Es war schwer zu sagen.

Das Geräusch verstummte, und der Kopf von Wallace erschien ruckartig über Pearces Bank. Jesus wusste, dass er gleich einen weiteren Vortrag zu hören bekommen würde, denn Wallace schob seine Staubmaske zur Seite. Okay, Wallace hörte sich gern reden, und nichts machte ihm mehr Spaß, als Jesus Ratschläge zu erteilen. Das machte er jetzt schon eine ganze Weile. Und Jesus war durchaus ein gefesselter Zuhörer.

»Wir haben alle Bedürfnisse, Jesus«, sagte Wallace. »Stimmt’s, Pearce? Wir brauchen alle Selbstbestätigung. Das ist total menschlich. Ich meine, denk mal drüber nach.« Er hielt inne, bevor er fortfuhr. »Ein Mann mit ‘nem großen Schwanz, der nie von ’ner Lady gesagt kriegt, dass er ‘nen großen Schwanz hat, könnte genauso gut ’nen kleinen Schwanz haben. Kapierst du, was ich meine?« Jesus fragte sich, worauf er hinauswollte. Jetzt war eigentlich nicht die rechte Zeit für Deppenphilosophie, und es war ja nicht Jesus’ Schuld, dass Wallace ‘nen kleinen Pimmel hatte. Es war allerdings Jesus’ Schuld, dass er mit May geschlafen hatte. Das tat ihm sehr leid, und das hatte er Wallace unzählige Male versichert. Er hätte es ihm auch noch ein weiteres Mal gesagt, aber seine Zunge schien nicht zu funktionieren.

»Verstehst du, was ich meine, Pearce?«

»Keine Ahnung«, sagte Pearce.

»Ist das nur Bescheidenheit, frag ich mich.« Wallace lächelte Jesus an. »Das Traurige ist, dass ich dich mag, Jesus. Obwohl du Gedichte schreibst und meine Frau geschwängert hast. Was ich hier vorhabe, na ja, das zerreißt mir wirklich das Herz. Scheiße, und ob. Dürfte nicht mehr lange dauern. Wie meine Mutter immer zu sagen pflegte: >Das tut mir mehr weh als dir.< Ich weiß, du denkst jetzt, was für ein Haufen Scheiße, hm? Aber es stimmt. Ich würde da viel lieber nicht dabei sein müssen.« Er hielt inne. »Ach, scheiß drauf, von wegen. Ich hab dich angelogen. Ich wird’s voll genießen. He, willst du ein Geheimnis wissen?«

Jesus sagte nichts.

»Na? Willst du? Ich sag’s dir trotzdem. Weißt du, was für ‘nen Tee du da getrunken hast?«

Tee. Der Tee. Ekelhaft, aber erfrischend. Es schien ein ganzes Leben her zu sein, dass Jesus den Tee getrunken hatte. Genau, kurz nachdem er ihn ausgetrunken hatte, war Wallace verschwunden. Dann kam Wallace mit einem Stapel Bretter zurück und fing an, das Kreuz zu bauen. Genau, so war’s gewesen. Eine schöne Tasse Tee.

»Ich hab was ganz Besonderes reingetan«, sagte Wallace und nahm seine Sägerei wieder auf. Nein, doch nicht. Damit war er fertig. Der erste Nagel knallte ins Holz, und Jesus wimmerte, als er sich vorstellte, wie er in seine Handfläche eindrang.

Wenn ihm nicht bereits übel gewesen wäre, dann wäre es spätestens jetzt so weit. Aber klar, so richtig wohl war ihm schon jetzt nicht. Wo er schon so lange in diesem Loch saß, da war es kein Wunder, dass er nicht mehr wusste, welcher Tag gerade war, wo er von Wallace zu essen bekam, wenn dem danach war, Wasser bekam, wenn es Wallace danach war. Jesus war kotzübel, genau genommen. Was hatte Wallace grade gesagt? Er hatte was in den Tee getan. Jesus schaute zu Pearce hinüber, zu dem Kronleuchter über der Bank, an die er gefesselt war. Der Kronleuchter bewegte sich hin und her wie ein schimmerndes Wesen aus dem Meer. Die Wand dahinter wirkte gemasert. Er konnte die ganzen kleinen Linien sehen, und die wackelten. Wie Sinuswellen. Hm?

Das Wummern war wie ein großer Ball, von dem Jesus sich sicher war, dass er ihn fangen könnte, wenn er nur die Hände frei hätte. Aber er hatte sie ja frei. Was dachte er denn da?

Wumm!
Noch mal.
Flutsch!
Genau in seine Hand. Einfach so.

Seine Hand fühlte sich anders an. Allerdings konnte er den Unterschied nicht festmachen. Nein, doch, nein.

Doch, es fühlte sich an, als trüge er Handschuhe. Er ließ den Ball fallen, den er in seiner Einbildung gefangen hatte, und der fiel lautlos zu Boden.

Wieder Stille. Wallace stand wieder auf und wischte sich die Stirn. Seine Brille sah aus, als würde sie vor seinem Gesicht schweben. Er bückte sich wieder, und erneut gab es einen Wums.

Wie viele Nägel wollte der gute alte Schachtelteufel Wallace denn noch in das Ding reinjagen?

Jesus hörte jemanden beten und murmelte mit. Keine Ahnung, wie die Worte lauteten, aber er folgte dem beschwörenden Rhythmus des Singsangs. Er fragte sich, ob der andere Typ zu Gott betete oder zu ihm selbst. Denn er war ja jetzt Jesus. Das war komisch, doch er lachte nicht, weil es eigentlich überhaupt nicht komisch war. Laut Wallace.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Vorschlaghammer: Er würde gekreuzigt werden. Er hatte es schon früher gewusst, aber nicht akzeptiert. Jemand würde ihn retten. Wallace würde Mitleid mit ihm bekommen und beschließen, es doch nicht durchzuziehen.

Ihm war nach Kichern zumute. Andererseits war ihm gar nicht danach zumute, also, so gefühlsmäßig. Ihm war nach Weinen zumute. Ergab das einen Sinn? Er war total verdreht irgendwie. Vergiftet, richtig?

Jemand hatte Mays Hund umgebracht. Mays Hund. Jemand hatte den Hund von Pearce umgebracht. War Jesus das gewesen? Hatte er das getan?

Näherte sich dem Tierheim. Eine einsame Wolke am Himmel in Richtung Fife. In der Hitze juckte es ihn im Nacken. Das Geräusch von einem Dutzend bellender Hunde.

Katzen gab es auch hier. Katzen konnte er nicht ausstehen.

Zurückschalten. Sofort.

Wallace baute gerade das Kreuz. Das war’s, das ganze Holz und die Werkzeugkiste und die Nagelpistole und das ganze Zeug. Jesus hatte das vage Gefühl, er hätte das bereits gestern alles auf die Reihe gekriegt. Wirklich? War er schon so lange hier? Aber so lange war das doch gar nicht, oder?

Das alles hörte sich allerdings vertraut an.

Wo war er?

Spielte eigentlich gar keine Rolle, oder?

Winzige Pelzfiguren säumten die Adern auf seinem Handrücken. Wirklich. Er konnte sie sehen. Nicht durch die Haut, sondern im Kopf. Er hatte keinen Schimmer, wie seine Hand in seinen Kopf kam, aber da war sie.

Peng!
Er hörte den Laut, bevor er erfolgte. Kaum einen Sekundenbruchteil. Er wusste zwar nicht wie, doch er hörte ihn. Komisch.

Der Kopf von Wallace erschien wieder. Von der Staubmaske war nichts mehr zu sehen. Und die Brille hatte er auch abgenommen und zeigte seine lächerlich blauen Augen. Sie waren BLAU, genau so, in Großbuchstaben, und es schmerzte, sie anzuschauen. »Wie fühlst du dich jetzt, Jesus?«

Jesus versuchte zu sprechen, brachte aber nicht die nötige Energie auf. Versuchte es erneut und brachte heraus: »Komisch.« Hörte sich an wie die Stimme von jemand anderem. Sie kam aus seiner Nase, schlängelte sich um sein Kinn und drang in sein linkes Ohr.

»Was hast du ihm gegeben?«, fragte Pearce.

»Schon mal von Psylocybin gehört?«, sagte Wallace.

»Magic Mushrooms?«, sagte Pearce.

»Sehr gut, Pearce. Hätt ich dir gar nicht zugetraut. Ich hab da ‘ne ordentlich starke Portion Psylo-Tee zusammengebraut. Und Big J da hat die ganze Ladung runtergeschluckt wie ’n durstiges Baby. Dich konnte ich nur kurz mal nippen lassen, Pearce. Solltest mir dankbar sein dafür. Fängt die Welt schon an, sich zu verändern, Jesus?«

Jesus versuchte zu nicken, aber da er den Kopf nicht bewegen konnte, nickte er nur in seinem Schädel drinnen und wusste, dass Wallace es gesehen hatte.

»Hattest du schon mal welche?«

Jesus nahm keine Drogen. Noch nie. Abgesehen von Dope ab und zu und gelegentlich Ecstasy, aber das zählte nicht. Er hatte nie Trips eingeworfen, und Mushrooms nahm heutzutage sowieso niemand mehr.

Nicht weil es illegal war, sondern einfach weil es nicht mehr cool war, den Hippieflip zu schmeißen. »Nee«, sagte er.

»Für ein mäßiges Gebräu nimmt man um die fünfzig«, sagte Wallace zu Pearce. »Wenn man richtig geil abgehen will, nimmt man hundert, aber das würd ich nicht empfehlen. Schon gar nicht bei ‘nem Anfänger.«

Jesus war sich ziemlich sicher bei den Zahlen. Mehr oder weniger. Passte nicht so richtig zusammen. Was war eine Portion?
Man nehme eine Kartoffel.
Da war noch irgendjemand in seinem Kopf. Er sah die Sau aus dem Augenwinkel herumfliegen und Deckung suchen. Herumfliegen? Genau, das war überhaupt kein Mensch. Schwarze und gelbe Streifen. Hatte so ein doppelt ausgebeultes Gesicht wie ‘ne Wespe.

Irgendwo klammerte Jesus sich an den Gedanken, dass er nicht vergiftet worden sei. Nicht richtig. Oder doch? Scheiße.

»Du bist schon weg, Kleiner, was? Kein Wunder. Zweihundert würden reichen, um die meisten Menschen in den Wahnsinn zu treiben.«

Zweihundert.
Mann.
Jesus schwebte. So übel war das gar nicht. Die Käfigstäbe waren leichter als Luft. Schwebten mit ihm. Er musste einen halben Meter aufgestiegen sein, dann knallte er wieder runter.

»Ich hab dir fünfhundert von den kleinen Scheißdingern gegeben, nur um sicherzugehen.«

Üble Sache das. Das war Jesus klar. So eine Riesenmenge. Massenhaft Drogen war schlecht, schlecht. Ganz schlecht. Und ob. Ein-, zwei-, drei-, vier-, fünfhundert. Schlecht, schlecht, schlecht, schlecht,
schlecht.
Aber es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
Stimmt irgendwas nicht, Herr Wachtmeister?
Er wusste es nicht. Hoppla. Das war alles andere als lustig, aber er lachte. Verdammte Scheiße, er musste aufhören. Fünfhundert. Ein Haufen Pilze. Irgendwer hatte das erwähnt. War das der andere Typ in seinem Kopf gewesen? Mister Wespe.
Kein schlechter Preis, fünfhundert, für ‘nen Sack von so großen Pilzen.

Er schloss die Augen und sah, dass er alles träumen konnte, was er wollte. Da war sie. May. Zappelte unter ihm. Sagte ihm, er solle es ihr fester besorgen.

Mir wird gleich übel, Herr Jesus. Gleich kotz ich meine Milz raus, Herr Jesus. Gleich kotz ich mein Herz raus, Herr Jesus.

Ein Kratzen.

Wallace hatte was gesagt. Hatte sich wieder an die Arbeit gemacht.

Sein Herzschlag, ‘ne Menge Rhythmen hier im Raum.

Melodie von Jesus.

Hübsche kleine Nummer.

Ich heiß nicht Jesus, verdammte Scheiße.

Es war nur so, dass er sich nicht an seinen Namen erinnern konnte, deshalb musste Jesus genügen.

Eine Kirche bauen. Ein Kreuz. Zum Draufstellen. Jesus umbringen. Mich umbringen.

Der Hund war tot. Wollte nachfragen. Wo? Wieso? Wer?

»Meinst du nicht, dass das Wort >Banane< eine komische Form hat?«, sagte die Wespe in seinem Kopf.

Jesus schloss die Augen. Ein Fehler.

Sein Herz fing an herumzuhopsen wie ein Pressluftbohrer. Prallte von seinem Brustkasten ab. Was allerdings nicht so schlimm war. Sein Brustkasten war aus Gummi.

Worte schwirrten in seinem Kopf herum wie Schwalben. Er streckte die Hand aus, schnappte sich eins. Wusste, wie Verrücktsein war. Sagte Hallo zu dem Vogel, und der Vogel sagte: »Ich bin Robin.«

Und er wurde kalt. Eiskalt. Winterkalt. Er ließ den Vogel fliegen, aber sein ganzer Körper wurde eiskalt. Er bibberte. Hätte Wallace ja gebeten, die Temperatur hochzudrehen, doch seine Zunge vibrierte, und, oh, vielleicht hätte Wallace ihm den Gefallen sowieso nicht getan. Jesus’ Ohren wurden vor Kälte taub, und er konnte nichts mehr hören. Wallace hämmerte vor sich hin, und Pearce sagte irgendwas zu ihm, und dann konnte Jesus nichts mehr hören, und seine Zunge vibrierte, und er konnte die Batterien nicht rausnehmen.

Dem Gefühl nach war es ein Jahr später, als seine Zunge zu zittern aufhörte. Jetzt kribbelte sie an der linken Seite. Als hätte er reingebissen und es würde nun heilen.

Vor vielen Monaten. Oder vor ein, zwei Sekunden. Nicht zu sagen.

Eiskalt. Er konnte sich nicht in die Zunge beißen, denn dann würde sie abbrechen. Vielleicht waren ihm die Ohren abgefallen.

Hatte er Fieber? Ein kaltes Fieber? Konnte man so was kriegen?

»Konzentrier dich«, sagte die Wespe. »Du kannst nicht einfach zu atmen aufhören. Wenn du das machst, dann stirbst du.«

Hatte er zu atmen aufgehört? Würde er sterben? Er fühlte sich absolut scheiße.

Er musste sich am Riemen reißen. Musste seine Gedanken daran hindern, so schnell herumzuflitzen. Sausten ihm dauernd voraus. Er brauchte Bremsen. Gedankenbremsen. Gab es so was? Nee. Lass sie dir patentieren, und du machst ein Vermögen. Eine glänzende Idee, verflucht noch mall Dranbleiben. Was zum Teufel war das überhaupt?
Existieren?
Ein ausgedachtes Wort, wenn er je eins gehört hatte. Aber waren nicht alle Wörter ausgedacht?

Scheiße. Er schmierte schnell ab. Er zwängte seinen Verstand wieder zurück. Das verdammte Ding war wie ein Gummiband. Man hätte Melodien darauf spielen können.
Pling, ploing!
Hört vielleicht mal einer zu!

Eine Erinnerung. Pack sie, fang sie, halt dich dran fest. Nix. Konnte keine finden.

Boah. Wallace schwebte neben dem Käfig, fast einen halben Meter in der Luft. Toller Trick. Jesus hielt den Atem an. Wallace bückte sich und schloss die Käfigtür auf.

Pssst.

Jesus spürte die Stille im Bauch. Führte zu einer seltsamen Reaktion. Machte ihn wieder durstig. Dachte an den Tee. Dachte an die Pilze in seinem Bauch. Pilze, die wie Kugeln in seine Gedärme krachten, einer nach dem anderen, ohne Lücke dazwischen. Ihm war übel, übel, übel. Mann, was für ein schmutziges Wort.

Eine Erinnerung. Eine Scheißerinnerung. Nicht eine einzige, ‘ne Meute Kinder. Die meisten dreizehn, vierzehn Jahre alt. Hochgerüstet. Jesus mitten im Gewühl, auch wenn er da nicht Jesus hieß. Einen Hammer in der Hand. Nutzlos. Konnte ihn nicht schwingen. Die Körper zu dicht gedrängt. In T-Shirts. Das New Bar Ox Team in diesen Pullis mit Schottenmuster, die sie eigens aus einem Laden in Glasgow bezogen. »Ihr Säue. Ihr dreckigen Säue«, sagte Jesus. Gehörte nicht dazu, wie man sieht. Jesus mittendrin nahm es mit jedem auf. Jemand hielt ihm die Hand fest. Seine Mum. Sagte: »Ihr seid ja wieder ganz verbeult.« Jesus grinsend: »Ja. Ich hab’s denen gezeigt.« Noch eine Erinnerung.

Other books

The Path of Anger by Antoine Rouaud
ABBARATH by COE 3.1.0
Mother of Storms by Barnes, John